Foto: DAK/Wigger
Ist jemand krank, der in der Nacht große Mengen an Nahrung verzehrt? (Foto: DAK/Wigger)
> Wenn nachts der große Hunger kommt
Menschen, die nachts aufstehen und den
Kühlschrank plündern. Die Mediziner streiten sich noch, ob das ein
Krankheitsbild ist, das behandelt werden muss. Klar ist, dass es Folgen
hat: nicht nur für das Gewicht, sondern auch für den Schlaf.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert wird das – auf Medizindeutsch
-  "Night Eating Syndrom", kurz: NES, erforscht. Dabei handelt es
sich um ein Verhalten der besonderen Art: Die Betroffenen verzehren
große Mengen an Nahrung in der Nacht – ihr Essverhalten ist
ungewöhnlich, ihr Schlaf gestört und ihre morgendliche Appetitlosigkeit
groß.   Laut der Psychologinnen Barbara Mühlhans, Katharina Olbrich und Prof.
Martina de Zwaan vom Universitätsklinikum Erlangen sind sich Forscher
aber noch immer uneins, was sich hinter dem "Night Eating Syndrom"
eigentlich verbirgt. Handelt es sich um eine psychische Störung oder
lediglich um eine Verhaltensauffälligkeit, die keiner Behandlung bedarf? "Die Erforschung des NES steckt bis heute in den Kinderschuhen",
betonen die Expertinnen. Ob es sich beim Night Eating Syndrom um ein
"Phänomen mit Krankheitswert" handelt und ob sich eine eigenständige
Diagnose ableiten lässt, so Mühlhans, ist völlig unklar. Das "Störungsbild" gibt Rätsel auf – auch noch 50 Jahre nach seiner
Entdeckung. Klar scheint nur eines zu sein: Die ursprüngliche
Definition steht auf wackligen Füßen. Manche Wissenschaftler sprechen
von NES, wenn ein Viertel des Nahrungsbedarfs zu später Stunde gestillt
wird; andere wiederum legen als Richtwert fest, dass die Hälfte der
Nahrung erst nach dem Abendessen verzehrt wird. Je nachdem, welche Regel angelegt wird, fallen die
Krankheitshäufigkeiten unterschiedlich aus: Sie schwanken zwischen
einem und 16 Prozent. Bei Personen, die sich einer ärztlich verordneten
Diät unterziehen, ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit besonders hoch.
Menschen mit Übergewicht leiden häufiger an NES als Normalgewichtige. Das Night Eating Syndrom, darin sind sich die Experten einig, geht
häufig mit Schlafstörungen einher. Wie beides aber miteinander
zusammenhängt – Schlaf- und Essstörung – ist noch ungeklärt. Auch die
Abgrenzung zu anderen Arten von Essstörungen gestaltet sich schwierig,
etwa gegenüber dem sogenannten Binge Eating Syndrom (BES). Menschen,
die unter BES leiden, werden regelmäßig von Essanfällen heimgesucht;
sie verzehren in kurzer Zeit außergewöhnlich viel Nahrung. Anders als
beispielsweise bulimische Personen kompensieren sie die starke
Nahrungsaufnahme jedoch nicht durch Sport oder selbst herbei geführtes
Erbrechen. Während Binge-Eater zu jeder Tages- oder Nachtszeit eine Essattacke
bekommen können, ist bei Night-Eatern der zirkadiane Rhythmus, also der
Tag-Nacht-Rhythmus gestört: Sie essen nachts. Charakteristisch für
NES-Betroffene ist ein eingeschränktes Gefühl von Kontrolle. Die
absolute Menge des Verzehrten ist weniger entscheidend. Im Gegensatz zu
Schlafwandlern können sie sich jedoch an die Nahrungsaufnahme erinnern. WANC 30.04.09/Quelle: B. Mühlhans et al.: Night Eating Syndrom und
nächtliches Essen – was ist das eigentlich? PPmP – Psychotherapie
Psychosomatik Medizinische Psychologie 2009; 59 (2): S. 50-56
 
 
 
 
 
 
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