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Aspirin (ASS) soll Diabetiker vor den Folgen von Herz-Kreislauferkrankungen schützen - doch es gibt auch dramatische Nebenwirkungen (Foto: Stock photo)
> Nutzen präventiver Thrombosetherapie umstritten
In der Medizin gelten Menschen mit
Diabetes als Hochrisikopatienten für Herz-Kreislauferkrankungen.
Bisher war die gängige Auffassung der Ärzte, dass bei Diabetikern
weniger gefäßbedingte Erkrankungen auftreten, wenn sie Aspirin
einnehmen. Doch ob diese sogenannte „Primärprävention" wirklich Sinn
macht, ist inzwischen mehr als fraglich. Studien belegen, die Einnahme
derartiger Medikamente mehr Nachteile, d.h. Nebenwirkungen wie
Magen-Darmblutungen, hat als sie Nutzen stiftet.
Herzinfarkt und Schlaganfall sind eine häufige Folge der
Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus. Eine blutgerinnungshemmende,
antithrombotische Therapie im Rahmen der Diabetes-Behandlung erscheint
somit sinnvoll. „Neue Erkenntnisse lassen jedoch vermuten, dass
Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne ein vorheriges Gefäßereignis wie
Herzinfarkt oder Schlaganfall von einer solchen Therapie insgesamt
nicht profitieren und auch Nachteile durch Nebenwirkungen wie zum
Beispiel Magen-Darmblutungen haben,“ sagt Prof. Dr. Helmut Schatz,
Bochum, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(DGE). Eine Folge der Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus ist ein hohes
Risiko für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Das Blut von
Diabetespatienten gerinnt schneller, da die Blutplättchen sich leichter
vernetzen. Die Folgen sind Verklumpungen beziehungsweise Gerinnsel im
Blut, sogenannte Thrombosen, welche die Herz- und Hirngefäße verstopfen
können. Diabetes mellitus gilt daher als besonderer Risikofaktor für einen
Herzinfarkt oder Schlaganfall. Mehr als drei Viertel der Diabetiker
versterben an Folgen von Durchblutungsstörungen in diesen Gefäßen. Um
die Gefahr zu senken, empfehlen viele wissenschaftliche Gremien
(Amerikanischen Diabetesgesellschaft – ADA, Deutschen
Diabetes-Gesellschaft - DDG) eine antithrombotische Therapie, welche
jedoch nicht generell, sondern individuell und abgestimmt auf die
Vorgeschichte des Patienten erfolgen sollte. Doch die Annahme, dass der Einsatz von Aspirin (Acetylsalicylsäure -
ASS) oder anderen antithrombotischen Medikamenten nutzt, gerät ins
Wanken. Denn nach Ansicht vieler Wissenschaftler werden die Vorteile
durch die Nachteile mehr als aufgewogen. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass Aspirin die Anzahl von
kardiovaskulären Gefäßerkrankungen senken kann: In einer kürzlich
durchgeführten Analyse mehreren Studien an 95.000 Menschen (Lancet
2009; 373, 1849-60) lag die Anzahl der Herz-Kreislauf-Ereignisse unter
Einnahme von Aspirin um zwölf Prozent niedriger als ohne. Dem stand
jedoch eine bedeutende Zunahme an Blutungen insbesondere aus dem
Magen-Darmtrakt gegenüber. Insgesamt wurde ein "Netto-Nutzen" von
Aspirin für die Patienten als fraglich eingestuft. In die gleiche Richtung weist auch die Studie "Aspirin for Asymptomatic
Atherosclerosis (AAA)", die Georg Fowkes, Edingburgh, Ende August 2009
auf dem Europäischen Kardiologenkongress in Barcelona vorstellte. Die
Wissenschaftler untersuchten 29.000 schottische Frauen und Männer auf
Erkrankungen der Gefäße. Sie fanden 3.350 Teilnehmer mit Hinweisen auf
eine beginnende, asymptomatische Atherosklerose, jedoch ohne
Herzinfarkt oder Schlaganfall. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt
täglich 100 Milligramm Aspirin (ASS), die andere Hälfte ein Plazebo. Im
Schnitt wurden die Personen 8,2 Jahre lang beobachtet und
kardiovaskuläre Ereignisse erfasst. Ergebnis: Das Aspirin zeigte keine
erkennbaren Vorteile bezüglich Gefäßerkrankungen. Auch in der japanische Studie "Japanese Primary Prevention of
Atherosclerosis with Aspirin for Diabetes" (JPAD) - veröffentlicht in
der Fachzeitschrift JAMA (2008; 300, 2134-41) – zeigten sich nicht die
erwarteten Vorteile, wenn Typ-2-Diabetiker Aspirin einnehmen. Eine
schwedische Arbeit fand sogar eine erhöhte Sterblichkeit von
Diabetespatienten ohne vorausgegangene kardiovaskuläre Ereignisse unter
Aspirin: "Aspirin increases mortality in diabetic patients without
cardiovascular disease: a Swedish record linkage study"
(Pharmacoepidemiol Drug Safety, Wiley, London, August 2009). Die
Mortalität stieg bei 50-Jährigen um 17 Prozent, bei 85-Jährigen um 29
Prozent. Günstig waren hingegen die Ergebnisse bei der sogenannten
Sekundärprävention: Hatten die Teilnehmer bereits einen Herzinfarkt
oder einen Schlaganfall, tendierte die Sterblichkeit mit Einnahme von
Aspirin zu niedrigeren Zahlen als ohne Aspirin. "Wir müssen also noch stärker als bisher abwägen, ob eine
antithrombotische Therapie mit Aspirin bei Diabetes sinnvoll ist oder
nicht, und auch die Nebenwirkungen wie Magen-Darmblutungen bedenken",
betont Schatz. Zur primären Verhütung von Herzinfarkt und Schlaganfall
ist dies nach den jetzt vorliegenden Ergebnissen offenbar nicht der
Fall. WANC 04.09.09/ Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie,
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften
 
 
 
 
 
 
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