Schädigt eine Narkose das Gehirn?

Narkosen lassen sich meist nicht umgehen. Doch viele Patienten haben Angst nicht nur vor der Operation selbst, sondern auch vor der damit verbundenen Narkose. Die größte Unbekannte dabei: Schädigt Anästhesie mein Gehirn? Allerdings sind die Zusammenhänge zwischen einer Narkose und Gehirnschäden kaum erforscht. Viele Patienten klagen dennoch über teilweise dramatische Folgen der Narkose.

Der Bundesverband Deutscher Anästhesisten (BDA) kennt keine Zweifel: "Narkose ist so sicher wie nie." Diese positive Botschaft verbreitet die Website des BDA "Narkose in sicheren Händen" (sichere-narkose.de). Welche Folgen eine Narkose haben kann, dazu findet sich auf der Website keine Erklärung. Einziger Rat: das Aufklärungsgespräch mit Anästhesisten. Damit machen es sich die Ärzte allerdings ein wenig einfach. Denn gerade hat eine Gruppe von Ärzten der Columbia Universität die Folgen einer Narkose bei 2.868 Kleinkindern untersucht, von denen 321 in den ersten drei Lebensjahren operiert und deshalb einer Narkose ausgesetzt worden waren. Die Ärzte stellten bei den Kindern, die eine Narkose erlebt hatten, bei 87% Defizite in der Sprachentwicklung und bei 70% Störungen in der Wahrnehmung auftraten. Daraus schließen sie, dass nicht alle Teile der Gehirns betroffen werden. Der Anästhesist Caleb Ing, der die Studie durchgeführt hat, empfiehlt Eltern auf jede Operation bei Kleinkindern zu verzichten, wenn das möglich ist.

Dennoch sagt Jochen Strauß, Chefarzt für Anästhesie in der Helios-Klinik für Anästhesie, perioperative Medizin und Schmerztherapie in Berlin sowie Sprecher des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kinderanästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin: "Es gibt kaum Hinweise, dass eine kompetent durchgeführte, klinisch gut überwachte Anästhesie mit modernen, kurz wirksamen Anästhetika negative Auswirkungen wie kognitive Entwicklungsstörungen oder Lernbehinderungen mit sich bringt." Das ist wohl nicht ganz falsch. Denn bisher gibt es in der Tat kaum Untersuchungen oder Studien, die das Problem richtig durchleuchten. So können sich Ärzte ganz schnell auf den Standpunkt zurück ziehen, dass Gehirnschäden durch Narkosen weiter unbewiesen sind.

Dass diese Studien nicht existieren, kann vieles bedeuten. Vielleicht will man den Folgen von Narkosen schon aus Haftungsgründen nicht auf den Grund gehen. Wer weiß? Immerhin sind die Berichte von Patienten sehr deutlich: Sie klagen in der Folge einer Narkose über das Auftreten von Augenmigräne, Herzrhythmusstörungen oder Gedächtnisstörungen. Beschwerden, die auch nach längerer Zeit nach der Narkose nicht verschwinden. Der Zusammenhang mit der Narkose weisen die operierenden Ärzten in der Regel weit von sich. Dass vielleicht mehr Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Narkosen auftreten als gedacht oder befürchtet oder zugegeben wird, das haben Ärzte der Charité in Berlin erforscht.

Sie haben fest gestellt, dass 5 bis 15% aller Patienten nach einer Operation unter Narkose an einer Bewusstseinstrübung leiden, dem sogenannten post- oder perioperativen Delir - früher auch Durchgangssyndrom genannt. Bei den über 60-Jährigen sollen es sogar fast 50% sein. Rund 40% der Betroffenen leiden auch ein Jahr nach dem Ereignis noch so stark unter den Einschränkungen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit. Die Folge: Sie sind dauerhaft pflegebedürftig. Die Ärzte mahnen, dass ein unbehandeltes Delir das Auftreten von Demenzerkrankungen fördern könne. Die Charité-Ärzte grenzen allerdings ein, dass derartige Nebenwirkungen von Art und Dauer der Operation und Narkose abhängig sind. Vor allem große Operationen - z.B. am Herzen oder nach Oberschenkelhalsbrüchen - würden ein hohes Risiko bergen.

Berliner Ärzteblatt 05.09.2012/ Quelle: Columbia University, Charité Berlin, pte,





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/index.php/narkose_05_09_12.php
powered by webEdition CMS