Dick ist nicht gleich dick

Galt
noch bis in jüngster Zeit, dass alle Menschen, die übergewichtig oder
stark übergewichtig (adipös) sind, ein großes Risiko haben, an Diabetes
Typ 2 und Bluthochdruck mit seinen Folgen Schlaganfall, Herzinfarkt,
und Nierenschäden zu erkranken, sieht die Medizin das heute aufgrund
neuester Erkenntnisse über Adipositas differenzierter. Wichtig ist, wo
sich das Fett sammelt.

Wissenschaftler betonen, dass
heute nicht mehr so sehr der so genannte Body Mass Index (BMI)
entscheident, als vielmehr, an welchen Stellen der Körper das
überschüssige Fett einlagert. Gefährlich sind vor allem die Fettdepots
um Bauch und Taille, früher freundlich mit "Embonpoint" umschrieben und
als Zeichen des Wohlstands angesehen. Mediziner sprechen von
"abdominaler Adipositas". Menschen mit dieser Form des Übergewichts
sind besonders gefährdet, frühzeitig an den Folgeerscheinungen der
Adipositas zu erkranken.


Vor
Jahren schon hatten Forscher festgestellt, dass Fettzellen eine
Vielzahl von Substanzen produzieren, die direkt das
Herz-Kreislauf-System und die Nieren schädigen. Kürzlich entdeckten
sie, dass vor allem die Fettzellen des Bauchgewebes besonders
stoffwechselaktiv und deshalb besonders gefährlich sind. Sie
produzieren Hormone und Botenstoffe (Adipokine), die in großem Maße zu
der Entstehung von Bluthochdruck und Stoffwechselstörungen wie Diabetes
Typ 2 und erhöhte Blutfettwerte beitragen. Diese Erkrankungen faßt die
Medizin unter dem Sammelbegriff metabolisches Syndrom zusammen.

Der
Body Mass Index (BMI) hingegen, der sich aus dem Körpergewicht in
Kilogramm durch die Körpergröße in Metern zweimal dividiert errechnet,
besagt nichts über die Fettverteilung. Als übergewichtig gilt, wer laut
WHO einen BMI von mehr als 25 kg/m2, als adipös, wer einen BMI von 30
kg/m2 und darüber hat. Ein Mann von 1,80 m Größe und einem Gewicht von
81 kg hätte demnach einen BMI von 25 kg/m2, bei einem Gewicht von 97 kg
betrüge sein BMI über 30 kg/m2. "Der BMI gilt weiterhin als
Richtschnur, um festzustellen, ob jemand wirklich zu dick ist. Ärzte
sollten bei ihren Patienten jedoch zusätzlich auch auf die
Fettverteilung achten", betont Prof. Arya Sharma (McMaster University,
Hamilton, Ontario, Kanada) .

Übergewicht und Adipositas sind in
den vergangenen Jahren zu einem weltweiten Problem geworden, das nicht
nur die Bevölkerung in den reichen Industrienationen betrifft, sondern
inzwischen auch zu einem Problem in den so genannten Entwicklungs- und
Schwellenländern geworden ist. Dort existieren vielfach Überfluss und
Hunger nebeneinander. Allein 2005 starben laut UN-Angaben 6,2 Millionen
Menschen an Hunger und den damit verbundenen Folgekrankheiten. Dagegen
stehen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, weltweit
eine Milliarde übergewichtiger Menschen und mehr als 300 Millionen
Adipöse.

In Deutschland sind 16 Millionen Menschen zu dick,
das entspricht 20 Prozent der Bevölkerung. Nach einer 2002 erhobenen
Gesundheitsstudie sind dort unter den Männern im Alter von 25 Jahren
gar 75 Prozent zu dick. Sie werden nur noch von den Griechen
übertroffen, die mit 78 Prozent die europäische Tabelle anführen. Damit
überholen diese beiden Länder zusammen mit Finnland, Malta, der
Slowakei, der Tschechischen Republik und Zypern was die Körperfülle
anbetrifft, sogar die USA. Dort gelten 67 Prozent der männlichen
Bevölkerung als zu dick. Die Europäische Union (EU) schätzt, dass
zwischen zwei und acht Prozent der Gesundheitskosten in der EU auf das
Konto der Behandlung von Übergewicht und Adipositas gehen. Die EU hat
deshalb dem Übergewicht im Frühjahr den Kampf angesagt und eine
Aktionsplattform ins Leben gerufen.

Übergewicht und
Fettleibigkeit drohen, die in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem
dank ausreichender Ernährung dramatisch gestiegene Lebenserwartung zu
verkürzen, befürchten Wissenschaftler und Ärzte. Der zunehmend
städtische Lebensstil mit mangelnder Bewegung, zu reichlichem, zu
fettem Essen und vorwiegend sitzender Tätigkeiten, hat dazu geführt,
dass die Menschen ihre überschüssigen Pfunde nicht mehr abarbeiten.
Laut WHO sterben jährlich allein in Europa rund 250 000 Menschen, und
weltweit zwei bis fünf Millionen Menschen an
Herz-Kreislauf-Erkrankungen als direkte Folge des Übergewichts.

Mit
Sorge beobachten Wissenschaftler und Ärzte, dass auch Kinder und
Jugendliche zunehmend übergewichtig sind und schon in jungen Jahren
Bluthochdruck und sogar Diabetes Typ 2 bekommen, eine Krankheit, die
früher nur im Alter auftrat und deshalb als "Alterszucker" bezeichnet
worden ist. Die WHO geht davon aus, dass weltweit 18 bis 22 Millionen
Kinder unter fünf Jahren zu dick sind. In Europa gilt eines von fünf
Kindern als zu dick und jedes Jahr kommen 400.000 übergewichtige
Schulkinder hinzu. Am stärksten steigt die Kurve laut International
Obesity Task Force bei Kindern in England und Polen an. Von den
geschätzten 14 Millionen europäischen Kindern mit Übergewicht gelten
drei Millionen als adipös.

Es ist zu befürchten, dass diese
Kinder nicht nur weniger gesund als ihre Eltern sind, sondern auch eine
kürzere Lebenserwartung haben werden, hat Prof. Jan Olshansky von der
School for Public Health an der Universität von Illinois in Chicago
(USA) vor kurzem in der medizinischen Fachzeitschrift New England
Journal of Medicine gewarnt. Und in der Tat: Studien etwa aus dem Iran,
Kroatien und Polen, die auf dem Symposium in Berlin vorgestellt wurden,
zeigen, dass bereits Kinder und Jugendliche, die zu dick oder
fettleibig sind, Bluthochdruck haben, und auch an Diabetes Typ 2
erkranken.

Zu dicke Kinder haben nach einer Studie der
Universität von Hamedan (Iran) ein 50 Prozent höheres Risiko an
Bluthochdruck zu erkranken, als ihre normalgewichtigen Altersgenossen.
Die Ärzte hatten über 1 000 Schulkinder im Alter von sechs bis elf
Jahren untersucht. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen ihre Kollegen in
Kroatien, die in Zagreb und Koprivnica fast 800 Kinder einem
Gesundheitscheck unterzogen hatten, sowie in Polen. Sie fordern deshalb
unter anderem eine bessere Gesundheitserziehung, die schon früh
einsetzt und die Kinder von klein auf lehrt, gesund zu essen.

Runter
mit dem Gewicht und vor allem runter mit den Bauchspeckrollen lautet
deshalb die Forderung der Mediziner. Das ist der effektivste Weg, den
Blutdruck und auch das Risiko für die Folgeerkrankungen zu senken. Doch
den meisten Patienten gelingt es nicht, auf Dauer abzunehmen. Meist
haben sie nach kurzer Zeit die mühsam abgearbeiteten Pfunde wieder
drauf. "Allein die Patienten für diesen mangelnden Erfolg
verantwortlich zu machen, wäre zu einfach", nimmt Sharma die Patienten
in Schutz. "Genetische Faktoren spielen bei der Regulierung des
Körpergewichts ebenso eine Rolle, wie die Fettzellen selbst. Auch
erschwert die medikamentöse Behandlung des Bluthochdrucks und des
Diabetes oft das Abnehmen."

WANC 28.10.05/idw





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/index.php/28_10_dick.php
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