Hereditäres Angioödem (HAE) bleibt häufig unerkannt

HAE-Patienten leiden oft lange, bis sie
die richtige Therapie erhalten. Unnötigerweise, denn die
Krankheit lässt sich eigentlich problemlos diagnostizieren. Und
behandelt werden kann sie auch. Nur: Das Wissen darüber ist
wenig verbreitet – bei Betroffenen wie bei Ärzten.


„Seitdem ich richtig behandelt werde,
weiß ich überhaupt erst, was Leben heißt!“, sagt
Gudrun K.. Mehr als 30 Jahre lang wusste sie es nicht. Denn so lange
litt sie immer wieder an Schwellungen im Gesicht, an Händen und
Füßen. Vor allem quälten sie Bauchschmerzen mit
heftigem Erbrechen und Durchfall. Eine Attacke verschwindet langsam
von selbst, kommt aber wieder: bei Gudrun K. dreimal die Woche.
Gudrun K. fiel irgendwann in eine schwere Depression. Erst 1998, als
sie 37 Jahre alt war, wurde die richtige Diagnose gestellt und die
richtige Therapie eingeleitet.



Die Kioskbesitzerin aus Norddeutschland
ist kein Einzelfall. Auch Claus D. leidet an Magen-Darm-Attacken,
auch er wurde lange Zeit gar nicht oder falsch therapiert. So schwer
können solche Attacken sein, dass ein normales Alltagsleben
nicht mehr möglich ist. „Ich habe mich kaum noch in die
Öffentlichkeit getraut“, sagt der 51-jährige Angestellte
rückblickend.



Die Krankheit, die Claus D. und Gudrun
K. erfasst hat, ist selten und heißt HAE (Hereditäres
Angioödem). Es kommt zu Schwellungen an den Schleimhäuten
der inneren Organe oder an den Extremitäten. „Einmal“,
beschreibt Gudrun K., „schwollen mein Gesicht und mein Hals so
stark an und zu, dass ich kaum mehr Luft bekam.“ Sie hatte
Todesangst. Die Schwellung ging zurück – die Angst aber blieb.
Und auch diese Schwellung kehrte wieder. „Die ganze Zeit war so
furchtbar, ich möchte am liebsten gar nicht mehr daran denken“,
so die 46-Jährige heute.



In Deutschland weiß man von etwa
1000 HAE-Patienten, Experten schätzen die Dunkelziffer auf rund
5000. Schwellungen im Kehlkopfbereich können den Erstickungstod
zur Folge haben; etwa 30 bis 50 Prozent der Todesfälle
bei unbehandelter HAE sind darauf zurückzuführen. "Ich
musste um die Therapie kämpfen.“ Häufig wird die
Krankheit falsch diagnostiziert: als Allergie, als Erkrankung der
Bauchhöhle. „Mit neun Jahren bekam ich den Blinddarm
herausgenommen“, erzählt Gudrun K., „später wegen der
Schwellungen Cortison – was natürlich alles gar nichts genutzt
hat.“



Doch selbst wenn HAE mittels einer
Blutuntersuchung endlich festgestellt worden ist: die richtige
Therapie zu bekommen ist nicht immer einfach. Denn das zurzeit
einzige wirksame Medikament zur Behandlung akuter Attacken kennen,
wie die Krankheit selbst, nur wenige Ärzte. „Ich musste
regelrecht darum kämpfen, es zu bekommen“, sagt Claus D., eine
Situation, die auch anderen Betroffenen vertraut ist.



HAE ist eine Erbkrankheit. Ein Enzym –
das Eiweiß C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH) – wird bei den
meisten Betroffenen nur vermindert oder gar nicht gebildet. Andere
haben es zwar in normaler Häufigkeit im Blutplasma, jedoch
funktioniert es nur eingeschränkt. Die Folge sind physiologische
Fehlsteuerungen, die zu den Schwellungen führen. Es gibt keine
speziellen Auslöser; Stress, Infektionen, kleinere Verletzungen
oder anderes können ihr Entstehen aber provozieren.



Weil Claus D. nach der HAE-Diagnose
nicht richtig behandelt wurde, wandte er sich an die HAE-Vereinigung
e. V. „Hier empfahl man mir Spezialisten am
Universitätsklinikum in Frankfurt am Main“, schildert der
Potsdamer. „Ich erhielt endlich die richtige Therapie und eine
umfassende Betreuung. Ich würde jedem Patienten raten, sich an
Experten zu wenden; die erfährt man über die
HAE-Vereinigung.“ Auch Gudrun K. wandte sich nach Frankfurt: „Ich
fühle mich da sehr gut aufgehoben und ernst genommen, das erste
Mal in meinem Leben.“



Beide Patienten werden mit einem
C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat behandelt. Es wird intravenös
bei Ausbruch einer Attacke gegeben. Diese endet dann relativ schnell,
das Ödem bildet sich zurück. HAE ist nicht heilbar. "Man
muss mit der Krankheit leben und sein Leben darauf einstellen“,
fasst Claus D. zusammen, „doch die geeignete Therapie löst die
körperlichen Probleme. Und natürlich soziale: Ich kann
wieder häufiger unter Menschen gehen.“ Für Gudrun K. ist
die Therapie lebensrettend; sie fügt hinzu: „Seitdem ich
richtig behandelt werde, weiß ich erst, wie gut es einem gehen
kann – ich wusste ja bis dahin gar nicht, was das eigentlich ist:
es geht einem gut."



HAE im Überblick: Symptomatik,
Diagnostik, Therapie


Beim „Hereditären Angio-Ödem“
(Ödem = Schwellung, hereditär = erblich, Angio = Gefäß)
entstehen Haut- und Schleimhautschwellungen. Über 70 Prozent
der Ödeme sind Schwellungen an Schleimhäuten innerer
Organe. Sind Magen und Darm betroffen, kommt es zu Bauchkrämpfen,
Erbrechen und Durchfall. Schwellungen an Gesicht, Hals, den
Extremitäten, an Genitalien und Gesäß jucken selten,
sind farblos bis weiß oder leicht gerötet und können
sehr schmerzhaft sein. Die Ödeme bilden sich nach einigen
Stunden oder nach zwei bis fünf Tagen von selbst wieder zurück.
Sie kehren wieder, oft ohne Vorwarnung und in extremen Fällen
mehrmals wöchentlich. Eine Blutuntersuchung zeigt, ob zu
wenig C1-INH (ein Eiweiß) im Blut ist. Der Spiegel liegt
normalerweise bei 80 bis 120 Prozent, bei HAE-Patienten bei
weniger als 50 Prozent. Ob eine Funktionsstörung des
C1-INH vorliegt, kann ebenfalls festgestellt werden. Ein
Konzentrat, das dem Blut des Patienten das fehlende Eiweiß
zuführt, stoppt akute Attacken. Selbshilfegruppe:
HAE-Vereinigung e. V., www.schwellungen.de



WANC 18.09.07/dgk





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/index.php/18_09_hae.php
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