Frau
Schmerzen: Therapie, bis Schmerzen abgeklungen sind (Foto: DAK/Wigger)
> Selbst schwache Schmerzen können chronisch werden

Anders als bislang von Experten vermutet, können
auch schwache Schmerzsignale das Nervensystem so verändern, dass die Pein zu
einem ständigen Begleiter wird. Eine bessere Schmerzprävention, etwa nach
Operationen, ist daher nötig, um solche Prozesse zu verhindern.


Chronischer Schmerz ist eine eigenständige Erkrankung. Er
ist ungleich komplexer und vielschichtiger als Akutschmerz - und er ist ein
quälender Begleiter mit vielen Gesichtern. Bei der Chronifizierung wirken
zumeist physische, psychische und soziale Faktoren zusammen. Unabhängig davon,
ob ein Tumor oder eine andere chronische Erkrankung die Schmerzen verursacht,
oder ob die Angst vor Arbeitsplatzverlust die Rückenmuskulatur in schmerzhafte
Dauerspannung versetzt - chronischer Schmerz verändert das Zentralnervensystem
auf allen Ebenen, verändert Körper und Psyche. Die Chronifizierung führt zur
Ausbildung eines so genannten "Schmerzgedächtnisses" - Gehirn und
Nerven haben "gelernt", auf Signale, selbst wenn diese schwach und
von gesunden Menschen als nicht schmerzhaft empfunden werden, besonders
empfindlich und intensiv zu reagieren.



Bislang gingen die Wissenschaftler davon aus, dass nur
starke Schmerzreize, bei denen die Schmerzfühler (Nozizeptoren) im Gewebe
bestimmte Nervenzellen im Rückenmark mit Signalen in hoher Frequenz
bombardieren, solche Sensibilisierungsprozesse auslösen können. Experten nennen
diesen "Verstärkermechanismus" Langzeit-Potenzierung (LTP). Dieser
spielt generell bei Lernprozessen eine wichtige Rolle.



Prof. Jürgen Sandkühler am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen
Universität Wien hat mit seinem Team nun fest gestellt, dass auch schwache
Schmerzreize, wie sie beispielsweise für Entzündungen typisch sind, diese
Lamina-I-Neurone genannten Nervenzellen schmerzempfindlicher machen können.



Schmerzimpulse starten eine komplexe Kaskade in den
schmerzverarbeitenden Nervenzellen des Rückenmarks: Erregende Neurotransmitter
aktivieren Rezeptoren, Ionenkanäle öffnen sich und am Ende sorgt ein erhöhter
Kalzium-Pegel in den Zellen dafür, dass sie die schwachen Impulse verstärkt auf
andere Neurone übertragen und ins Gehirn weiterleiten. Dieses reagiert auf
diese Impulse mit der Aktivierung absteigender Nervenbahnen, die den
"Durchfluss" der Schmerzimpulse ins Gehirn nochmals erleichtern.



Sandkühler: "Unsere Ergebnisse sind wichtig für die präventive Analgesie
nach Operationen, denn um die ist es nicht immer gut bestellt." Zwar
gehöre die Unterdrückung von Schmerzsignalen durch starke Schmerzmittel
(Opiate) während und direkt nach einer Operation inzwischen zum Standard.



Doch wenn die Schmerzen nachlassen, werden zumeist auch
Ärzte und Pflegepersonal nachlässiger in Sachen Schmerztherapie. "Dabei
können auch schwache Schmerzen, wie wir gezeigt haben, noch
Sensibilisierungsprozesse anschieben und zu chronischen Schmerzen führen",
erklärt Sandkühler. Darum müsse eine ausreichende Schmerztherapie so lange nach
einer Operation fortgeführt werden, bis der Schmerz weitgehend abgeklungen ist.



Wichtig ist darüber hinaus vor allem, so Sandkühler, "dass diese
Sensibilisierungprozesse auch wieder rückgängig gemacht werden können."
Die elektrische Stimulation bestimmter schmerzleitender Nervenfasern durch
intensive Impulse in geringer Frequenz kann die Langzeitpotenzierung in eine so
genannte Langzeit-Depression verwandeln, bei der die Neurone für einlaufende
Schmerzsignale unempfindlich werden.



Die Elektrostimulation aktiviert schmerzhemmende Systeme, die ihrerseits
die hyperaktiven Schmerzneuronen im Rückenmark dämpfen. "Dieses
Phänomen", sagt Sandkühler, spielt sicherlich bei den so genannten
gegenirritativen Verfahren in der Schmerztherapie eine Rolle, etwa der
Transkutanen Elektrischen Nervenstimulation (TENS) oder auch bei der
Akupunktur.



WANC 10.07.07

 
 
 
 
 
 
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