Foto: Stock photo
Jeder vierte Bürger erhält einmal im Jahr die Diagnose „Rückenschmerz" (Foto: Stock photo)
> Rückenschmerzen: Lücken in der Versorgung
Wem die Diagnose "Rückenschmerz"
gestellt wird, der hat ein doppelt so hohes Risiko für spätere
Bandscheibenschäden. Doch bei 65 Prozent der Patienten wird die
Bandscheibenverlagerung im Lendenwirbelbereich zur Dauerdiagnose, ohne
dass eine Behandlung dokumentiert ist. Und nur 22 Prozent der
operierten Bandscheibenpatienten erhalten nach dem
Krankenhausaufenthalt eine Anschlussheilbehandlung oder eine
aktivierende Reha-Maßnahme. Die Situationsanalyse um die Diagnose
Rückenschmerz zeigt erhebliche Versorgungslücken bei Prävention und
Nachsorge auf.
Rückenleiden sind die Volkskrankheit Nummer 1 in Deutschland. Jeder
vierte Bürger erhält einmal im Jahr die Diagnose „Rückenschmerz“.
Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sind der häufigste Grund für
eine Arbeitsunfähigkeit. Schwere Rückenerkrankungen wie
Bandscheibenvorfälle machen außerdem häufig eine Einweisung ins
Krankenhaus notwendig. Der neue GEK-Bandscheiben-Report belegt: Jeder 20. Versicherte erhält
einmal im Jahr eine Bandscheibendiagnose, jeder 60. Versicherte wird
deswegen zeitweise oder dauerhaft arbeitsunfähig. Je nach Schweregrad
und Therapieform entstehen jährlich direkte Kosten von 200 bis 4.500
Euro pro Fall. Allein die Diagnosen Bandscheibenverlagerung bei der
Lendenwirbelsäule stiegen zwischen 2004 und 2007 um 20 Prozent.
Grundlage dieser Ergebnisse waren die ambulanten und stationären
Routinedaten zu vier Bandscheiben-Diagnosen von 1,1 Millionen GEK
Versicherten aus den Jahren 2005 bis 2007. In die Behandlung von Bandscheibenerkrankungen sind viele medizinische
Bereiche eingebunden. Die Wissenschaftler vom Zentrum für Sozialpolitik
der Universität Bremen (ZeS) unter der Leitung von Dr. Bernard Braun
wählten deshalb erstmals einen umfassenden Forschungsansatz. So wurden
Diagnostik und Therapie über mehrere Leistungsbereiche und Jahre hinweg
erfasst. Versorgungsprobleme zeigen sich sowohl vor als auch nach einer
Krankenhausbehandlung. Patienten mit Rückenschmerzen haben ein stark erhöhtes Risiko für eine
Verschlimmerung ihrer Erkrankung: Für sie ist eine Bandscheibendiagnose
in den Folgejahren um 90 bis 127 Prozent wahrscheinlicher. Auch
auffällig: 65 Prozent der Patienten mit zweimaliger Diagnose “lumbale
Bandscheibenverlagerung" innerhalb eines Jahres und ohne anschließende
Therapie erhielten im Folgejahr dieselbe Diagnose wieder gestellt. Für Studienleiter Braun ist der hohe Anteil von Dauerdiagnosen ohne
dokumentierte Therapie fragwürdig: "Nach einer zweimaligen Diagnose
wäre eine frühzeitige und angemessene Therapie plausibel." Als mögliche
Ursache für das erhöhte Chronifizierungsrisiko bei
Rückenschmerz-Patienten führte er Qualitätsmängel in der ambulanten
Diagnostik und bei einer möglichst zügigen erkrankungsspezifischen
Behandlung an. Zwar gebe es viele Anzeichen dafür, dass leitliniengerecht therapiert
wird und sich Behandlungserfolge einstellen, etwa bei
Arzneimitteltherapie und Schmerzreduktion. Die wichtige Integration von
aktivierenden Präventionsleistungen in die ambulante und stationäre
Behandlung ist allerdings kaum dokumentiert. Nur 22 Prozent der operierten Patienten erhalten nachstationär eine
Reha-Maßnahme oder Anschlussheilbehandlung. Bei bis zu 40 Prozent der
stationär eingewiesenen Patienten ist keine anschließende stationäre
oder ambulante Behandlung dokumentiert. Auffällig ist auch die
durchschnittlich vierwöchige Lücke zwischen klinischer und
postklinischer Behandlung bei über 40 Prozent der Patienten. Erst nach
zwölf Wochen reduziert sich deren Anteil auf 20 Prozent. An der Diagnose und Therapie von Bandscheibenerkrankungen sind
Hausärzte, Fachärzte, Kliniken, Reha-Zentren und viele
Heilmittelerbringer beteiligt, die Gefahr von Ineffizienzen und
Qualitätseinbußen an den Schnittstellen ist daher groß. Deshalb mahtn
die GEK mehr Koordination und Kooperation zwischen den Sektoren an:
„Das Verschleppungsrisiko vor und nach der Krankenhauseinweisung ist
offensichtlich. Wir müssen daher sicherstellen, dass Rückenpatienten
zügig und erkrankungsspezifisch behandelt werden.“ Für die GEK ist das ein Argument mehr für das Modell der integrierten
Versorgung. Als Beispiel wird gerne das Programm zur Rückengesundheit
des Forschungs- und Präventionszentrums Köln (FPZ) angeführt. Darin
beteiligen sich mittlerweile rund 2000 Haus- und Fachärzte, über 8500
GEK Versicherte haben es seit 2005 genutzt. Die Gesundheitseffekte
seien nachhaltig, die Kosteneinsparungen beträchtlich. Allerdings: Ob
die integrierte Versorgung dem Patienten wirklich etwas bringt, ist
umstritten. WANC 15.09.09/ Quelle: GEK-Bandscheiben-Report
 
 
 
 
 
 
powered by webEdition CMS