Rheumaerkrankungen: Das immunologische Gedächtnis löschen

Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide
Arthritis, Lupus erythematodes oder multiple Sklerose entstehen, wenn
das Immunsystem körpereigenes Gewebe angreift. Eine wichtige Rolle
spielen dabei überaktive Gedächtniszellen des Immunsystems, die sich
nach erfolgreicher Abwehr eines Krankheitserregers verselbstständigen
und weiter gegen einen vermeintlichen Feind kämpfen, obwohl der "Krieg"
längst zu Ende ist.  Ziel ist es, dieses "immunologische
Gedächtnis" zu löschen.
Die derzeitigen Behandlungsalternativen chronisch-entzündlicher
rheumatischer Erkrankungen basieren auf der ungezielten Unterdrückung
des überaktiven Immunsystems, das sich gegen den eigenen Körper
richtet. Eine Heilung ist dadurch in der Regel nicht möglich, die
Erkrankung kehrt nach Absetzen der Therapie zurück. "Das Immunsystem erinnert sich an das Rheuma", sagt Prof. Andreas
Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen
Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) in Berlin. Basis dieser Erinnerung ist
das "immunologische Gedächtnis", das erst seit kurzem näher erforscht
ist und den gesunden Menschen vor Krankheiten schützt, die er zuvor
überstanden hat. Wird der Körper erneut mit dem Krankheitsauslöser
(Antigen) konfrontiert, ist dank der Gedächtniszellen eine schnellere
und effizientere Abwehr möglich. Danach wird die Aktivität dieser
Zellen durch ein kompliziertes Regelwerk wieder heruntergefahren. Bei
Autoimmunerkrankungen entziehen sich die Zellen jedoch dieser Kontrolle
und entwickeln ein Eigenleben. Das immunologische Gedächtnis wird vor allem von zwei Zelltypen des
Immunsystems bestimmt: von langlebigen T-Lymphozyten, die
Immunreaktionen über verschiedene Botenstoffe (Zytokine) regulieren,
sowie von langlebigen B-Lymphozyten, so genannten Plasmazellen, die
schützende Antikörper produzieren. Bei Autoimmunerkrankungen richten
sich diese Antikörper jedoch gegen körpereigenes Gewebe, daher spricht
man von Autoantikörpern (auto= selbst, eigen). Langlebige Plasmazellen entstehen beim zweiten Kontakt des Immunsystems
mit einem Antigen. Sie wandern danach ins Knochenmark oder in
entzündetes Gewebe. Dort docken sie an Bindegewebszellen an, die ihnen
eine geschützte Nische bieten, wo sie sich dem Zugriff des
immunologischen Kontrollsystems ebenso entziehen wie dem Angriff durch
immunsuppressive Medikamente. Sie teilen sich nicht mehr, verlieren
ihre Fähigkeit zu wandern, produzieren aber weiter Autoantikörper. "Ohne Frage sind langlebige Plasmazellen ein interessantes neues
therapeutisches Ziel", erklärt Radbruch. Die Konzentration der
Wissenschaftler auf die Plasmazellen allein greift jedoch zu kurz, denn
wahrscheinlich sind auch Gedächtnis-T-Lymphozyten an der
Aufrechterhaltung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen beteiligt.
Diese entstehen durch mehrfachen Kontakt mit einem Antigen, der sie
entscheidend prägt und verändert. Bei diesem Prozess werden bestimmte
Gene stillgelegt und andere dauerhaft eingeschaltet, die fortan in
Botenstoffe übersetzt werden, die das immunologische Gleichgewicht aus
dem Ruder laufen lassen. Ein solchermaßen aktiviertes Gen ist z. B. twist1. "T-Lymphozyten mit
außergewöhnlich hoher twist1-Expression dominieren in chronisch
entzündetem Gewebe von Patienten mit rheumatoider Arthritis, reaktiver
Arthritis oder Morbus Crohn", so Radbruch. Um das immunologische Gedächtnis für rheumatische Erkrankungen
dauerhaft zu löschen, erklärt der Wissenschaftler, müssen künftig beide
Zelltypen ins Visier genommen werden. Dass die Löschung des
immunologischen Gedächtnisses prinzipiell funktioniert, zeigen die
Erfahrungen an Patienten, bei denen das Immunsystem zunächst durch
Chemotherapie völlig zerstört und anschließend durch eine
Transplantation eigener Stammzellen wieder aufgebaut wurde. Mit ihrem
neuen Immunsystem haben die Patienten die Krankheit meistens
überwunden. Diese Art Therapie ist jedoch wegen des vorübergehenden, aber
lebensgefährlichen Infektionsrisikos für eine breite Anwendung nicht
geeignet. Für die Zukunft setzt Radbruch daher auf subtilere Methoden,
mit denen die Gedächtniszellen im Körper gezielt aufgesucht und
ausgeschaltet werden können. WANC 12.12.08, Quelle: Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/index.php/12_12_immungedaechtnis.php
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