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Sorgloses Lachen bein mobilen Telephonieren: Welche Gesundheitsrisiken wirklich bestehen, bleibt umstritten (Foto: obs/PREVIEW)
> Mobiles Telephonieren: Krebsrisiko nur bei Vieltelefonierern
Ob Mobil- und Schnurlostelefone das
Krebsrisiko erhöhen, ist sehr umstritten. Studien belegen sowohl die
eine wie die andere Vermutung. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse
der Interphone-Studie, die von sich behauptet, die bisher größte
Fall-Kontrollstudie zum Thema Handys und Krebsrisiko zu sein, will
nachweisen, dass von einer durchschnittlichen Handynutzung keine Gefahr
ausgeht. Doch bei Handy-Nutzern, die besonders häufig telefonieren,
sind die Resultate unklar, obwohl bei allerstärksten Nutzern das
Krebsrisiko ansteigt. Und Freude über die „positiven“ Ergebnisse kommt
schon deshalb nicht auf, weil Experten die statistische Aussagekraft
der Studie in Zweifel ziehen.
Mobiltelefone (Handys) und Schnurlostelefone senden beim Telefonieren
hochfrequente elektromagnetische Felder aus. Zwar existieren
Grenzwerte, unterhalb derer angeblich  keine Gesundheitsschäden zu
erwarten sind. Nicht zuletzt auf Grund der rapiden Verbreitung des
Mobilfunks werden jedoch immer wieder Befürchtungen über mögliche
Risiken laut. Vor allem werden die Grenzwerte angezweifelt. Auch deshalb begannen im Jahr 2000 Forscher in acht europäischen
Ländern (Dänemark, Deutschland, England, Finnland, Frankreich, Italien,
Norwegen, Schweden) sowie in Australien, Israel, Japan, Kanada und
Neuseeland mit einer gemeinsamen Studie, die von der „International
Agency for Research on Cancer (IARC)“ in Lyon koordiniert wurde. Diese
sogenannte Interphone-Studie sollte mit epidemiologischen Methoden
mögliche Gesundheitsrisiken aufspüren. Weil Handys und
Schnurlostelefone direkt an den Kopf gehalten werden, wollte man in
erster Linie untersuchen, ob die Nutzung von Handys die Entwicklung von
Hirntumoren (Gliomen und Meningeomen) bei Erwachsenen fördert. Zwischen 2000 und 2003 wurden insgesamt 2765 Gliom- und 2425
Meningeom-Patienten sowie 7658 gesunde Vergleichspersonen zu ihren
Telefonier-Gewohnheiten befragt. Damit ist Interphone die bisher größte
Fall-Kontrollstudie, die Handygebrauch und Tumorrisiken untersucht hat,
behaupten die Beteiligten. Sie erfasste vor allem kurzzeitige
Handynutzer, aber auch eine Anzahl von Personen, die bereits vor 1994
begannen, mobil zu telefonierten. Insgesamt war das regelmäßige Telefonieren mit einem Handy nicht mit
einem höheren Risiko für Gliome oder Meningeome verbunden,
interpretieren die Wissenschaftler die Ergebnisse. Berücksichtigt man
die Intensität (die gesamte Nutzungsdauer in Stunden), so zeige sich
nur bei den allerstärksten Nutzern (fünf Prozent der Teilnehmer) ein
erhöhtes Risiko, an einem Gliom zu erkranken, und zwar insbesondere bei
denjenigen, die das Handy nach eigenen Angaben bevorzugt an die vom
Gliom betroffene Kopfseite gehalten haben. „Ob für diese Personen das Risiko, an einem Hirntumor zu erkranken,
tatsächlich erhöht ist, lässt sich allerdings nicht sagen, denn die
Ergebnisse könnten auch durch methodische Probleme entstanden sein“,
schränkt Univ.-Prof. Dr. Maria Blettner, Direktorin des Instituts für
Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) an der
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ein. So
sei die sehr hohe Nutzungsdauer, die manche Teilnehmer angaben, nicht
plausibel. Auch steige das Risiko zu erkranken nicht, wie zu erwarten
wäre, mit zunehmender Stundenzahl kontinuierlich an. Stattdessen war es
nur für die kleine Gruppe der extremen Vieltelefonierer erhöht.
Schließlich sei die Strahlenexposition durch Handys (SAR-Wert) heute
deutlich geringer als vor zehn bis 20 Jahren. „Die Interphone-Studie hat gezeigt“, so Blettner, „dass für einen
Erwachsenen eine durchschnittliche Nutzung des Handys kein erhöhtes
Hirntumorrisiko bedeutet.“ Ob Menschen, die besonders lange und häufig
mit ihrem Handy telefonieren, gefährdet sind, an einem Gliom zu
erkranken, müsse weitere Forschung klären. Doch genau da liegt das Problem der Studie. Sie beobachtet vor allem
Kurzzeitnutzer. Das Problem vieler anderer Studien zu dem Thema, die
knappen Fallzahlen insbesondere zu Langzeitnutzern, beseitigt auch die
Interphone-Studie nicht. Noch ist wenig über die Latenzzeiten von Hirntumoren bekannt. Die
krebsliga schweiz schreibt von einem langen - 10 Jahre und mehr -
Zeitraum. Sie stellt dazu fest: “Die Interphone-Studie hat
vergleichsweise wenige Langzeitnutzer (10 und mehr Jahre) erfasst,
insbesondere wenige mit GSM-Telefonen. Aus der Studie sind deshalb
Aussagen zur Langzeitwirkung von GSM-Handys betreffend Tumoren im
Kopfbereich nur beschränkt möglich.” Das bedeutet: Die Studie ist viel
zu kurz gelaufen, um zu erwartende Langzeiteffekte hochfreuqenter
magnetischer Strahlung auch nur annähernd zu erfassen. Durch die Form der Erhebung der Nutzung – die Menschen mußten ihren
Mobilfunkgebrauch schätzen – ergeben sich mögliche Ungenauigkeiten. So
wichen die Daten von speziellen Mobiltelefonen, welche die
Sendeleistungen aufzeichneten, teilweise sehr stark von den Angaben ab,
welche die Personen drei Monate nach der Verwendung dieser
Mobiltelefone über ihre damalige Handynutzung zu Protokoll gaben. Die
grosse Variabilität der Schätzgenauigkeit bei den Fällen wie bei den
Kontrollen bedeutet, dass es schwierig ist, kleine Risiken statistisch
nachzuweisen. Kritisiert die krebsliga schweiz: “Im Falle einer
Latenzzeit von 8 Jahren und einer Risikoverdoppelung läge die Erhöhung
der Neuerkrankungen bei 8%. Werte unter 10% sind aufgrund der
natürlichen Schwankungen in den Statistiken schwer zu identifizieren.” Die statistische Aussagekraft – Fachleute nennen das Power - der
Interphone-Studie ist anscheinend nicht besonders hoch. Dazu sagt die
krebsliga schweiz bemerkenswerter Weise: “Als Konvention gilt, dass
eine Studie eine Power von 80% (eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 20%)
haben sollte. Was die hier referierten Interphone-Ergebnisse
anbetrifft: Die Power der Langzeit-Daten liegt fast durchwegs unter
50%.” Frage: Was soll man also glauben? Antwort: Auch die Interphone-Studie
kann Zweifel – besonders was die Langzeitfolgen betrifft – nicht
beseitigen. Da, wo es kritisch wird, weichen die Wissenschaftler aus
und verweisen auf weitere Forschung. Eine beliebte Formulierung, um
sich Ärger vom Hals zu schaffen. Warum das so ist? Ein Grund liegt – wie bei fast allen diesen Studien –
in der Finanzierung. Das Foschungsbudget betrug über 7 Millionen Euro.
Im Rahmen des 5. Forschungsprogramms beteiligte sich die EU mit 3.85
Mio. Euro am Projekt. Die restlichen Mittel wurden von der Industrie
(3.5 Mio. Euro) und von nationalen Stellen in den beteiligten Ländern
aufgebracht. Zwar sind die Industriemittel via Union internationale
contre le cancer (UICC) mit Sitz in Genf an die Forschenden
weitergegeben worden. Die UICC soll zwar als firewall gegenüber den
Geldgebern Mobile Manufacturers Forum (MMF) und GSM Association (GSMA)
dienen. Damit sollen die Wissenschaftler-Teams völlig unabhängig
bleiben. Doch mit Verlaub gesagt: Ob das funktioniert? Wer hat
beispielsweise bei den beteiligten Wissenschaftlern nach ihren
Verbindungen zu Mobildfunkbetreibern und Handyherstellern gefragt? WANC 18.05.10, Quelle: American Journal of Epidemiology, Institut für
Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik der Universität
Mainz, Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie am Deutschen
Krebsforschungszentrum in Heidelberg, Arbeitsgruppe Epidemiologie und
Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld
 
 
 
 
 
 
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