Krankheitserreger im Krankenhaus: Das Kartell des Wegsehens und Verschweigens

Im Krankenhaus erworbene Infektionen - sogenannte nosokomiale Infektionen -  kosten tausenden von Menschen das Leben, jedes Jahr. Dafür gibt es mehrere Gründe: mangelnde Krankenhaushygiene, überfordertes Personal und gegen Antibiotika resistente Keime. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Doch bisher passiert wenig.


Die Horst Schmidt Kliniken (HSK) in Wiesbaden gelangten Anfang 2016 zu trauriger Berühmtheit: Das Team Wallraff berichtete in RTL über katastrophale Zustände in Deutschlands Krankenhäusern. Es gebe viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Personal: "In Deutschland ist eine Pflegekraft im Schnitt für zehn Patienten zuständig…So kommen in Norwegen vier Kranke auf einen Pfleger, in den Niederlanden sind es fünf." Das wirke katastrophal auf die Notaufnahmen aus. Und: " Auch bei der Hygiene wird gespart…. Der Boden verdreckt, blutiges Arbeitsmaterial lag herum, verschmutzte Betten mit befleckten Lacken einfach auf dem Flur abgestellt. Ohne Desinfektion wurden diese benutzten Tragen von einer Krankenschwester für den nächsten Patienten vorbereitet."


Für die miserablen Zustände im HSK soll der Großaktionär der Klinikkonzern Helios mit seiner verordneten Kostenbremse verantwortlich sein. Und auch als sich neun Frühchen als mit mit MRSA-Keimen besiedelt herausstellen, lässt sich HSK vier Wochen Zeit, um über die Hygienemängel aufzuklären. Welche Folgen das alles hat: keine. Die Stadt Wiesbaden sieht kein Grund für ein Einschreiten. Gefährdet ist nicht einmal das Zertifikat für guten Umgang mit multiresistenten Erregern, das vom MRE-Netzwerk Rhein-Main vergeben wird. Das Siegel gilt für zwei Jahre - basta.


Und auch diese Meldung sorgte Ende 2015 für Aufsehen: Die Roland-Klinik in Bremen schaffte die langärmligen Arztkittel ab. Anfang 2016 folgten die acht Askelpios-Kliniken in Hamburg dem Vorbild und auch einige Helios-Kliniken, z.B. in Sangerhausen, Hettstedt und Eisleben, wollen sich dem anschließen. Warum? Die einfach Antwort: Angst vor Keimen. Studien des Robert-Koch-Institutes (RKI) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben ergeben, dass sich auf den langärmligen Kitteln häufiger Krankheitserreger tummeln. In England und den Niederlanden sind langärmlige Arztkittel aus hygienischen Gründen bereits seit Jahren verboten.


Ob das allerdings der Weisheit letzter Schluss im Kampf gegen die lebensbedrohende Gefahr der Krankenhauskeime ist, wird sich zeigen. Tatsache ist, dass sich jedes Jahr Tausende von Patienten im Krankheitskeimen im Krankenhaus infizieren. Und oft kränker das Krankenhaus, das sie eigentlich gesund machen soll, wieder verlassen, als sie herein gekommen sind. Doch anstatt das Problem zu lösen, wird lieber geschwiegen oder die Verantwortung weggeschoben oder einfach ausgesessen.


Das Dilemma beginnt schon damit, dass es viele unterschiedliche Zahlen über die Bedrohung gibt. Von 500.000 Fällen einer Krankenhausinfektion spricht die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) rechnet mit 400.000 bis 600.000 behandlungsassoziierten Infektionen und 10.000 bis 15.000 Todesfällen. Der Deutschen Stiftung Patientenschutz zufolge sterben pro Jahr aber etwa 40.000 Menschen an Krankenhausinfektionen, laut der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) sind es bis zu 30.000, dagegen spricht die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) von 2000 bis 4500 Patienten. Im übrigen geht die DGKH von mindestens 900.000 Erkrankungsfällen durch mangelhafte Hygiene in Deutschland aus. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) errechnet 3,2 Mio. im Krankenhaus erworbenen Infektionen in Europa pro Jahr. 


Nachdem die Gesundheitspolitik sich lange Zeit kaum um das Thema gekümmert hat, wurde Gesundheitsminister Hermann Gröhe dann im vergangenen Jahr tätig und präsentierte eine 10-Punkte-Plan zur Bekämpfung resistenter Erreger und zur Vermeidung behandlungsassoziierter Infektionen. Darin finden sich u.a. so aufregende Anspornansagen wie Ausbreitung multiresistenter Erreger verhindern, Hygienestandards in allen Einrichtungen weiter ausbauen, bessere Informationen zur Hygienequalität in Krankenhäusern und Meldepflichten zur Früherkennung resistenter Erreger verschärfen. Viel Lärm um nichts. So stellte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), fest, dass ein Großteil der Krankenhausinfektionen und deren Folgeschäden vermeidbar sind. Das wirkliche Problem sei ein Verhaltensproblem von Klinikpersonal und Patienten, aber kein Gesetzesproblem. So sei das Gesetz zur Krankenhaushygiene sei zwar verschärft worden, aber geändert habe sich kaum etwas.


Dabei müsste sich einiges ändern. Und dabei könnte ein Blick über die Grenzen helfen: z.B. in die Niederlande, Norwegen und Schweden. Das ECDC beziffert beispielsweise das Problem der Antibiotikaresistenzen auf 1,2% der untersuchten Krankenhauskeime in den Niederlanden - in Deutschland sind es 12,7%. In den Niederlanden wird auch konsequent der Verbrauch von Antibiotika kontrolliert. Seither sinkt die Verwendung der Mittel in Krankenhäusern um rund 5% und in der Tiermedizin um bis zu 58% (Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 2009 bis 2013).


Das ECDC lässt einen Zusammenhang zwischen einer im Krankenhaus erworbenen Infektion und der zu Kontrolle beschäftigen Krankenhaushygieniker erkennen. In den Niederlanden beschäftigt jede Klinik eine solche Person, in Deutschland sind Krankenhäuser mit weniger als 400 Betten - damit rund zwei Drittel aller Krankenhäuser - dazu nicht verpflichtet. 


Auch ein Mangel an Pflegepersonal scheint den nosokomialen Infektionen Vorschub zu leisten. Weil Krankenschwestern und -pfleger in deutschen Kliniken doppelt so viele Patienten zu versorgen haben wie in Schweden oder den Niederlanden, würden die Hygienmaßnahmen unter der mangelnden Zeit leiden. Welchen Anteil das brisante Gemisch aus hohem Arbeitsdruck und vernachlässigter Hygiene allerdings hat, darüber gibt es kaum Zahlen. Allerdings kann man am Verbrauch von Händedesinfektionsmitteln im Krankenhaus ableiten, wie es um die Hygiene in den Häusern steht. Daraus lässt sich eine sogenannte Compliancerate - die drückt aus in wie viel Prozent der Fälle eine ausreichende Händehygiene stattfindet - errechnen. Durchschnittlich erreichen deutsche Kliniken eine Rate von 72%. Prof. Dr. med. Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, merkt aber an, dass mehr als 80% notwendig sind, um die Raten der im Krankenhaus erworbenen Infektionen zu senken. Eine Studie der „Aktion Saubere Hände“ stellt erstaunliches fest: Gerade Ärzte/innen haben in diesem Bereich Nachholbedarf. 


Herausstellen muss sich nun, ob die vielen Lippenbekenntnisse tatsächlich zu zählbaren Erfolgen werden. Kritiker sind nicht optimistisch. Weil Krankenhäuser mittlerweile ihren Investoren gute Zahlen präsentieren müssen, werde lieber gespart, als in zusätzliche Mitarbeiter oder Material investiert. Dass es auch in Zukunft wohl eher um weitere Einsparungen geht, belegen Studien von Beratungsunternehmen. Die sagen nämlich, dass Krankenhäuser beim Material bis zu 14% sparen könnten. Und damit sind auch Verbandmaterial, OP-Besteck und Desinfektionsmittel gemeint. Da dürfen sich Patienten/innen richtig freuen.


17.02.2016/ Quelle: RKI, Charité, BfR





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http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/index.php/krankenhausinfektionen-17-02-16.php
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