> EHEC: Die Angst bleibt
Es ist jetzt gerade einmal ein Jahr her, seit dem EHEC uns alle verunsichert hat. Dass Sprossen als Verursacher identifiziert wurden, hatte damals drei Wochen  gedauert. Und damit scheint die Gefahr auch keineswegs gebannt. Denn das Virus - der Ausbruchstamm wurde als O104:H4 bezeichnet - ist äußerst wandlungsfähig und kann jederzeit wieder aktiv werden.

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr taten das, was Politiker anscheinend am liebsten tun: Sie loben sich selbst. Man habe hervorragende Arbeit geleistet, entschlossen gehandelt und weitere Erkrankungen verhindert. Und natürlich habe man Lehren gezogen und bemühe sich durch Sofortmaßnahmen und Gesetzesanpassungen, wie das Meldesystem für Infektionsschutz, Bürger/innen in Zukunft noch besser zu schützen.

EHEC - das Darmbakterium Enterohämorrhagische Escherichia coli - hat 53 Menschen zwischen Mai und Juli 2011 das Leben gekostet. Das reicht aber nicht, dass beispielsweise um das Meldesystem dennoch Streit entbrennt, weil den Ländern die Kosten zu hoch sind. Abgesehen davon, dass Infektionsexperten eh nicht viel davon halten. Und Reinhard Burger, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) betont, dass mit rohen Lebensmitteln immer das EHEC-Risiko umgehe. Das beste Rezept gegen die Infektion sei ohnehin eine bessere Hygiene.

Prof. Dr. Dr. h. c. Helge Karch vom Universitätsklinikum Münster (UKM) hat nun eine Bilanz der EHEC-Epidemie gezogen:

1. Die Ärzte haben beobachtet, dass sich nach Ende der Epidemie der EHEC O104:H4-Ausbruchsstamm in seiner Infektionskraft abgeschwächt hat. Infizierte in diesem Jahr haben bisher kein HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom) entwickelt, obwohl dieser Erreger in Deutschland weiterhin bei menschlichen Trägern nachgewiesen wird. Die Ärzte warnen aber davor, dass diese Veränderungen ein Beispiel für das grundsätzliche Potential von EHEC sind, sich innerhalb kürzester Zeit für den Menschen nachteilig zu entwickeln. Verantwortlich dafür ist seine hohe Variabilität, die beispielsweise auch zur ESBL-Antibiotikaresistenz geführt hat.

2. Deutschland rangiert mit ca. 1000 gemeldeten EHEC-Erkrankungen pro Jahr am untersten Ende der Skala der großen Industrienationen. Es besteht allerdings das Gefahrenpotential von bislang wenig beachteten „EHEC-Minoritäten“, d. h. seltenen EHEC-Subtypen, und ein daher hoher Forschungsbedarf für die Zukunft.

3. Eine zuverlässige Diagnostik und Erregertypisierung sei notwendig, um die Erregerausbreitung und Erregerveränderungen schneller zu erkennen. Dazu sollen DNA-sequenzbasierte Technologien eingesetzt werden. Nationale Bakterienbibliotheken, wie sie bereits am Institut für Hygiene für Deutschland bestehen und auf die man in Ausbruchsfällen zum Vergleich zurückgreifen kann, sind unverzichtbar.

4. In Impfstudien wurden Rinderbestände, die als das wichtigste Reservoir für EHEC-Erreger gelten, mit neu entwickelten EHEC-Impfstoffen behandelt. Das Ziel besteht darin, die Tiere gegen EHEC zu immunisieren, um so dessen  Ausscheidung zu verringern. Dadurch könnte bereits auf der Stufe der Fleischproduktion die EHEC-Belastung von Rindfleisch drastisch reduziert werden, in dem EHEC aus dem Darm von Rindern eliminiert wird und damit von vornherein eine Freisetzung in Form von Fäkalien in die Umwelt ausgeschlossen werden kann. Ungeklärt ist aber, wer die hohen Kosten für ein derartiges Impfprogramm trägt und ob dieses alle verschiedenen EHEC-Varianten eliminieren kann.

5. In einer klinischen Studie in Südamerika (Argentinien, Chile, Peru) wurden monoklonale Antikörper (Shigamaps) als Therapeutika eingesetzt. Zwei monoklonale Antikörper, die die von EHEC produzierten Shiga Toxine 1 und 2 neutralisieren können, zeigten eine sehr gute Verträglichkeit bei den behandelten Patienten. Diese Therapie setzt die Antikörper präventiv bei EHEC-Durchfallerkrankungen ein, um so die Entwicklung eines hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) zu verhindern.

6. Wer eine EHEC-HUS-Erkrankung überstanden hat, muss sich möglicherweise auf Folgeerkrankungen einstellen. Fünf Jahre nach der Erkrankung entwickelten 30 Prozent der untersuchten Patienten eine oder mehrere Folgeerkrankungen. Zu den Langzeitauswirkungen zählten Bluthochdruck, verschiedene neurologische Symptome sowie eine erhöhte Eiweißausscheidung (Proteinurie) oder eine erhöhte glomeruläre Filtrationsrate. Ob diese Erkenntnisse allerdings auf jede EHEC-Epidemie und auf alle betroffenen Patienten zutreffen, ist nicht sicher.

wanc 14.05.2012/ Quelle: EHEC-Weltkongress VTEC 2012
 
 
 
 
 
 
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