> Sonne unterstützt intaktes Immunsystem

Das Phänomen ist erstaunlich: Nordeuropäer, Nordamerikaner und Kanadier erkranken deutlich häufiger an Multiple Sklerose (MS) als Menschen aus Ländern in Äquatornähe. Was den Unterschied ausmacht? Das Sonnenlicht. Offenbar verhindern die Sonnenstrahlen, dass sogenannte Autoimmunerkrankungen - zu denen beispielsweise MS aber auch Typ-1-Diabetes, rheumatoide Arthritis, eine Form der Schilddrüsenentzündung (Hashimoto), Hauterkrankungen (Schuppenflechte, Schmetterlingsflechte) sowie die chronisch entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn) gehören - entstehen.

Bei Autoimmunerkrankungen greift das Immunsystem den eigenen Körper an. Das bedeutet, dass bestimmte Zellen (T-Lymphozyten) das Körpergewebe fälschlicherweise als "Feind" identifizieren und es angreifen. Was dazu führt, dass der Körper mit sich selbst kämpft, ist bisher nicht wirklich entschlüsselt. Aber Forscher der Universität Münster haben jetzt bewiesen, dass das Sonnenlicht einen Einfluss darauf hat: Moderate Sonnenstrahlung unterstützt den Aufbau eines gesunden Immunsystems und hilft diesem beim Schutz des Zentralen Nervensystems.

Über einen Zeitraum von sechs Wochen suchten neun MS-Patienten regelmäßig eine medizinische Sonnenkammer auf. Die tägliche - mit Ausnahme an den Wochenenden - Bestrahlung brachte erstaunliche Ergebnisse, freut sich Prof. Karin Loser von der Uni-Klinik für Hautkrankheiten: „Im Blut und in der Haut der Patienten fanden sich schon nach dem ersten Termin mehr regulatorische T-Zellen und dendritische Zellen als zuvor.“ Das ist deshalb so erfreulich, weil beide Zelltypen das Immunsystem davor schützen, sich bei einer Überreaktion selbst anzugreifen . Das Wissenschaftlerteam konnte anhand von Hautbiopsien nachweisen, dass die UV-B-Strahlung im Immunsystem von MS-Patienten einen komplexen Prozess auslöst: In der bestrahlten Haut bilden sich tolerogene dendritische Zellen, die dann in angegliederten Lymphknoten regulatorische T-Zellen „ausbilden“.

Dass Sonnenlicht diese Wirkung auch auf andere Autoimmunerkrankungen haben kann, hat Loser bei der Behandlung der Schuppenflechte erfahren. Auch hier erweis sich, dass UV-Licht eine positive Wirkung auf das Immunsystem hat. Die von den Sonnenstrahlen erreichten regulatorischen Zellen wandern aus der Haut zum Ort der Entzündung, also ins Blut, in die Knochen oder - wie bei der MS - in das Zentrale Nervensystem. Hier lösen sie eine schützende Reaktion des Immunsystems aus und drosseln die schädliche Autoimmunität. Allerdings lässt dieser Effekt schneller nach als die Sonnenbräune: Wird die Behandlung auch nur für wenige Tage unterbrochen, verschlechterten sich Blutwerte und Immunstatus sofort wieder.
Ob diese Erkenntnisse einen Ansatz für eine konkrete neue Therapie bieten, ist noch nicht vollständig geklärt. Zumindest können sie dazu beitragen, die Behandlungsmöglichkeiten von MS zu erweitern und zu verbessern, erwarten die Wissenschaftler.

Berliner Ärzteblatt 20.05.2014/ Quelle: Annals of Neurol. 2014

 
 
 
 
 
 
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