Foto: Philipps-Universität Marburg / AG Matrosovich
Die besonders gefährliche Variante D222G des Influenzavirus (rot gefärbt) befällt Zellen mit Flimmerhärchen (dunkelgrau) (Foto: Philipps-Universität Marburg / AG Matrosovich)
> Neue Grippe: Was die Gefahr ausmacht

Die Schweinegrippe – mittlerweile Neue Grippe genannt – hat weniger
Schaden angerichtet, als befürchtet und wovor gewarnt wurde. Viele
haben sich deshalb nicht impfen lassen, was die von der Bundesregierung und
den Bundesländern gekauften Impfstoffe zur millionenschweren
Fehlinvestition verkommen ließ. Doch nun warnen Wissenschaftler erneut:
Das Virus kann sich verändern. Das macht nach Ansicht von
Wissenschaftlern den Unterschied zwischen milden und gravierenden
Krankheitsverläufen aus. Die Veränderung des Virus führt dazu, dass es
neue Zielzellen in Lunge und Bronchien befällt und lebensbedrohliche
Atemwegsbeschwerden auslösen kann.
Die sogenannte „Neue Grippe“ wurde von der Weltgesundheitsorganisation
WHO zu einer weltweiten Seuche ausgerufen. Verursacht wurde sie durch
das Influenzavirus H1N1. Doch die Experten streiten sich immer noch
darüber, ob diese Pandemiewarnung ihre Berechtigung hatte oder nicht
übertrieben war. Viele kritisieren, dass die Aufgeregtheit und die
darauf folgenden Millionen-schweren Inverstitionen in den Impfstoff auf
den Einfluß von Pharmaunternehmen zurück zu führen ist. Noch prüft die
WHO diesen Vorwurf, dennoch hat sie erst vor kurzem die
Pandemie-Entwarnung gegeben. „Auch wenn die meisten Krankheitsfälle
mild verliefen, verursachte das Virus mitunter schwere und sogar
tödliche Infektionen“, berichten die Wisenschafter einer aktuellen
Studie. Um den Grund für gravierende Krankheitsverläufe zu ermitteln, nahmen
sich die Wissenschaftler Virusvarianten vor, bei denen ein Bestandteil
des Oberflächenproteins Hämagglutinin ausgetauscht ist. Hämagglutinin
ist dasjenige Virusprotein, das an Rezeptoren auf der Wirtszelle
bindet; außerdem ist es daran beteiligt, dass Virushülle und
Zellmembran miteinander verschmelzen, wodurch das Virusgenom ins
Zellinnere gelangen kann. Viren vermögen nur diejenigen Zellen zu infizieren, deren Rezeptoren zu
den jeweiligen Hämagglutinin-Proteinen passen; diese Rezeptorvarianten
verteilen sich sehr ungleich auf verschiedene Gewebe und binden
Influenzaviren unterschiedlich leicht. Die Autoren der neuen Studie
untersuchten Varianten des Grippeerregers, deren Hämagglutinin-Proteine
an der Position D222G mutiert sind: Dort ist genau eine Aminosäure
ausgetauscht. Wer sich mit dieser Virusvariante ansteckt, ist besonders
stark gefährdet, schwer oder gar tödlich an Grippe zu erkranken. Wie die Forscher nachweisen, infiziert das mutierte Virus in stärkerem
Maße Zellen, die mit Flimmerhärchen oder Wimpern ausgestattet sind.
Solche Zellen kleiden unter anderem Lungen und Bronchien aus und
verfügen vorwiegend über eine bestimmte Rezeptorvariante. „Es gibt
einen klaren Zusammenhang zwischen der verbesserten Bindung an diesen
Rezeptor und der vermehrten Infektion bewimperter Zellen“, betonen Dr.
Mikhail Matrosovich und Professor Dr. Hans-Dieter Klenk vom Institut
für Virologie der Philipps-Universität. Wenn die bewimperten Zellen der Atemwege befallen sind, ist der
Organismus nicht mehr in der Lage, Schleim aus der Lunge zu
transportieren und auf diese Weise Keime zu entfernen. „Die veränderte
Rezeptorvorliebe und Umorientierung auf bewimperte Zellen kennzeichnen
einen Krankheitserreger von erhöhter Gefährlichkeit“, schlussfolgern
die Wissenschaftler; „dies unterstreicht die Notwendigkeit, die
Evolution der Viren genau zu verfolgen“. WANC 22.11.10, Quelle: Yan Liu & al.: “Altered receptor specificity
and cell tropism of D222G haemagglutinin mutants from fatal cases of
pandemic A (H1N1) 2009 influenza”, Journal of Virology 84 (November
2010), 12069-12074, doi: 10.1128/JVI.01639-10
 
 
 
 
 
 
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