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Zum bösen Wolf wird unser Immunsystem, wenn wir Hunger haben - denn dann schüttet unser Körper vermehr spezielle Abwehrzellen aus (Foto: Stock photo)
> Immunsystem: Der Einfluss der Ernährung

Unser Immunsystem scheint wie ein
hungriges Tier zu funktionieren. Ernähren wir uns zu gut, wird es
träge, nachlässig und überwindbar. Aber reduzieren wir unsere
Kalorienaufnahme, dann wird es zu einem bissigen und agressiven
Raubtier. Und damit als Wächter gegen Krankheitserreger viel
wirkungsvoller. Der Grund: In Hungersituationen, die für die
Körperzellen Stress bedeuten, schüttet der Körper vermehrt spezielle
Abwehrkräfte aus, um sich zu schützen. Dieser Mechanismus könnte auch
bei einigen Volkskrankheiten und der Erhöhung der Lebensdauer eine
Rolle spielen.
T-Zellen, B-Zellen, Antikörper – daraus besteht die schnelle
Eingreiftruppe unseres Immunsystems gegen Viren und Bakterien, die uns
krank machen wollen. Diese körpereigene Armada merzt mit schweren
molekularen Geschützen die Eindringlinge effektiv aus. Dabei richten
die Abwehrsysteme aber auch Kollateralschäden am eigenen Gewebe an, die
erst einmal repariert werden müssen. Damit das Immunsystem nun nicht ständig in höchster Alarmbereitschaft
steht und so möglicherweise chronische Entzündungen verursacht, ist an
der Grenze zwischen Körper und Außenwelt ein anderes Abwehrsystem
vorgeschaltet. Das ist unbedingt nötig, denn auf den so genannten
Barriere-Geweben wie Lunge und Haut befinden sich Billionen von
Bakterien. Der überwiegende Teil dieser Mikroorganismen lebt seit
Jahrmillionen in guter Nachbarschaft mit unseren Körperzellen. Mehr
noch: Die komplexe Lebensgemeinschaft aus verschiedensten
Mikroorganismen versorgt uns mit wichtigen Naturstoffen, wie z.B. dem
Vitamin B12. Dabei tauchen unter den zahlreichen friedfertigen Bakterien jedoch
immer wieder einige Störenfriede auf, die uns krank machen können. In
dieser Situation - noch bevor die gefährlichen Keime in den Körper
eindringen - tritt ein Mechanismus in Kraft, der völlig unabhängig von
den klassischen Immunabwehrsystemen wirkt. Die Bonner Biomediziner vom
LIMES-Institut der Universität Bonn haben an Fruchtfliegen, aber auch
an menschlichem Gewebe zeigen können, dass dieses natürliche
Immunabwehrsystem über den so genannten Insulinsignalweg direkt an den
Stoffwechsel-Status gekoppelt ist. Wenn wir längere Zeit nichts gegessen haben oder viele Treppen steigen
müssen, sinkt das Energieniveau der Zellen und damit auch der
Insulinlevel. Die Bonner Forscher haben nun entdeckt, dass bei einem
niedrigen Insulinlevel der so genannte FOXO-Transkriptionsfaktor
aktiviert wird. Ein Transkriptionsfaktor kann Gene an- und abschalten.
FOXO schaltet bei Energiebedarf Gene für Abwehrproteine an. Diese antimikrobiellen Peptide (AMP) - nicht zu verwechseln mit
Antikörpern - werden daraufhin aus den Körperzellen ausgeschleust. Sie
zerstören mögliche Krankmacher, indem sie deren Zellwände auflösen.
"Das findet jeden Tag zu jeder Minute statt", erklärt Studienleiter
Prof. Michael Hoch vom LIMES-Institut. "Faszinierend dabei ist, dass
eine Funktion des Immunsystems direkt abhängig davon ist, wie viel und
was wir essen." In Hungersituationen, die für die Körperzellen Stress bedeuten, schütte
der Körper vorsichtshalber vermehrt antimikrobielle Peptide aus, um
sich zu schützen. "Die Barriere zwischen Körper und Außenwelt wird wohl
in einer möglichen Gefahrensituation gestärkt, in der wir zu wenig
Energie haben", vermutet Hoch. FOXO und die antimikrobiellen Peptid-Gene, die es anschaltet, gibt es
in fast allen Tiergruppen. Die Forscher glauben darum, dass die direkte
Kopplung des Nahrungsangebots mit der immunologischen Abwehr
wahrscheinlich schon früh in der Evolution vielzelliger Organismen
entstanden ist. Auch eine Reihe von Volkskrankheiten wie Diabetes Typ II oder
Fettleibigkeit (Adipositas) stammen aus einer erhöhten
Kalorienaufnahme. Außerdem gehen derartige Krankheiten häufig mit
vermehrten Entzündungen der Barriere-Gewebe, einem gestörten
Immunsystem und einer insgesamt verkürzten Lebensspanne einher. Der Blick der LIMES-Forscher richtet sich denn auch als nächstes auf
den Zusammenhang zwischen Kalorienaufnahme und Lebensdauer.
Untersuchungen an Fadenwurm, Fruchtfliege und Maus haben gezeigt, dass
eine reduzierte Kalorienaufnahme die Lebensspanne verlängern kann.
Hoch: "Wir wollen nun herausfinden, ob dies auf eine Foxo-abhängige
Verbesserung der Barriere-Funktionen des natürlichen Immunsystems
zurückzuführen ist." MA 21.01.10, Quelle: Nature (DOI: 10.1038/nature08698), Universität Bonn
 
 
 
 
 
 
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