Antibiotika werden viel zu oft eingenommen, häufig gegen die falschen Krankheiten
> Antibiotika: Unüberlegter Einsatz

Antibiotika werden viel zu häufig und
viel zu oft falsch eingesetzt. Beispielsweise ohne ausreichende
Indikation beim Menschen oder als reine Präventionsmaßnahme bei Tieren.
Das hat zu Resistenzen gegen diese Medikamente geführt, die eigentlich
Bakterien abtöten sollen. Das Problem existiert mittlerweile weltweit.
Strategien dagegen scheinen bisher ohne durchschlagende Erfolge zu
bleiben.
Antibiotika helfen nicht bei Virusinfektionen wie etwa Grippe,
Erkältung oder akuter Bronchitis. Dennoch kommen sie gerade hier immer
wieder in Einsatz, was sowohl finanzielle als auch gesundheitliche
Schäden auslöst. Entzündungen betreffen in den meisten Fällen den
oberen und unteren Respirationstrakt, den Harnweg, den Darm oder auch
die Haut. Die Möglichkeiten zur Behandlung hängen vom jeweiligen
Erreger ab - während gegen Bakterien Antibiotika zum Einsatz kommen,
sind es gegen Viren Virostatika, gegen Pilze Antimykotika und gegen
Würmer Antihelminthika. Drei Viertel der Antiinfektiva werden im
niedergelassenen Bereich verschrieben. Dabei scheint der Einsatz oft – gelinde gesagt – nicht berechtigt. In
rund der Hälfte aller Antibiotika-Behandlungen von Infektionen der
Nasennebenhöhlen, des Rachens oder Mittelohres sind die Verschreibungen
der Ärzte falsch, bei einer nomalen Erkältung liegt der Irrtum sogar
bei 100 Prozent. Dass Antibiotika gegen Viren ihre Wirkung verfehlen,
daher sinnlos sind und neben den Kosten auch auch die Resistenzen in
die Höhe treiben, betonen Experten immer wieder. Doch der Apell an die Ärzte für einen überlegten Einsatz von Diagnose
und Therapie sowie gegen den unüberlegten von Antibiotika scheint
bisher wenig zu fruchten. In seiner Sendung vom 15.09.2010 hat die
Sendung Plusminus vom NDR recherchiert. Gesunde Frauen wurden zu zehn
Ärzten geschickt. Sie gaben an, Symptome einer Blasenentzündung zu
haben. Das Ergebnis: Sechs von zehn Ärzten verschreiben unseren
Testerinnen ein Antibiotikum - selbst nach Urinproben ohne Befund. Helmut Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) forscht
seit Jahren zu Antibiotika. Er bestätigt gegenüber Plusmins den
falschen Umgang mit dem Medikament: "Wir wissen aufgrund von
epidemiologischen Studien, dass bei Erkältungsfällen häufig Antibiotika
eingesetzt werden. Die Zahl, die da genannt und auch beziffert wird,
ist, dass bei 80 Prozent bei diesen Erkältungsfällen Antibiotika
eingesetzt werden. Da müssen wir ganz klar sagen: Das ist ein nicht
indikationsgerechter Einsatz von Antibiotika." In Österreich beispielsweise kämpfen die Pharmaindustrie, die Ärzte-
und die Apothekerkammer sowie der Hauptverband der
Sozialversicherungsträger in der Initiative "Arznei und Vernunft"
gemeinsam gegen dieses Problem. In Deutschland gibt es seit 2008 DART –
die Deutsche Antibiotika Resistenzstrategie. Die WHO und auch die
Europäische Kommission veröffentlichten bereits 2001 Strategien zur
Vermeidung bakterieller Resistenzen gegenüber Antibiotika. In beiden
Strategien wird die Bedeutung regionaler, nationaler und
internationaler mikrobieller Überwachungsstrategien bei der Bekämpfung
hervorgehoben. Sowohl die WHO als auch die EU initiierten die
Etablierung von internationalen Systemen zum Resistenzmonitoring. Seit 2001 senden die europäischen Mitgliedstaaten Resistenzdaten an das
europäische Überwachungssystem EARSS (European Antimicrobial Resistance
Surveillance System). Die EARSS-Resistenzdaten zeigen sehr geringe
Resistenzraten in den skandinavischen Staaten und den Niederlanden bei
Erregern wie Methicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA) oder
Vancomycin-resistenten Enterokokken. Südeuropäische Länder wie Portugal
und Griechenland liegen im europäischen Vergleich mit den höchsten
Resistenzraten bei diesen Erregern weit vorn. Die Daten aus Frankreich
zeigen, dass seit der Einführung der französischen Strategie zur
Sicherung der antibiotischen Wirkung die MRSA-Raten in Frankreich
sinken. Deutschland nimmt im europäischen Vergleich eine Mittelfeldposition
ein, sagt das Bundesforschungsministerium. Gewisse Resistenzraten wie
z. B. MRSA stiegen von 1999 bis 2004 kontinuierlich an, seitdem ist
eine konstante Resistenzrate um 20 % zu beobachten. Im Gegensatz dazu
ist die Resistenzrate der Fluorchinolon-resistenten E. coli weiter
angestiegen von 4 % in 1999 auf 29 % in 2006. Zusätzlich initiierte die EU die Etablierung des europäischen
Netzwerkes ESAC (European Surveillance of Antimicrobial Consumption)
zur Überwachung des Antibiotika-Verbrauchs im ambulanten Bereich. Diese
Daten zeigen, dass Portugal und Griechenland einen hohen
Antibiotika-Verbrauch haben, während die Niederlande den geringsten
Antibiotika-Verbrauch hat. Deutschland hat im europäischen Vergleich
einen mittleren bis geringen Antibiotika-Verbrauch im ambulanten
Bereich. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern werden in
Deutschland aber häufiger Reserve-Antibiotika (Antibiotika mit einer
sehr eingeschränkten Indikation) und Breitspektrum-Antibiotika
verordnet. Doch alle Bemühungen scheinen letztlich wenig zu bewirken. So richten
sich die wenigsten Ärzte in Deutschland nach solchen Leitlinien. Gerade
bei den niedergelassenen Ärzten, die in Deutschland rund 80 Prozent
aller Antibiotika verordnen, fehlen Leitlinien oder vorhandene
Leitlinien werden nicht umgesetzt. Die Folge: Tatsächlich steigen die Resistenzen weiterhin an.
Insbesondere im Krankenhaus hat diese Situation bereits zu
katastrophalen Folgen geführt: die Zahl der Menschen, die aufgrund von
Resistenzen nicht mehr behandelt werden können und mit schlimmen Folgen
kämpfen oder sogar sterben, nimmt stetig zu. Was das auch für die Behandlungskosten bedeutet, hat eine englische
Studie ermittelt: Ein Harnwegsinfekt ist mit Resistenz etwa um 70
Prozent teurer als ohne. 25.000 Menschen sterben in Europa jährlich in
Folge einer Infektion mit multiresistenten Bakterienstämmen. Die Verantwortung schieben sich die Beteiligten gegenseitig in die
Schuhe. Die Politik macht die Industrie verantwortlich, weil die den
Einsatz forciert habe und sich jetzt immer mehr aus der Forschung nach
neuen Antibiotika zurück ziehe. Die Ärzte den Patienten, weil die
unverschämterweise Antibiotika-Verschreibungen von ihnen fordere, auch
wenn sie gar nicht angesagt seien. Die Kassen den Ärzten, weil die ohne
eine genau Indikation zu stellen, einfach die Mittel auf das Rezept
setze. Und so weiter, und so weiter. Experten sagen, dass es nur eine
wirkliche Rettung gibt: So wenig Antibiotika zu verschreiben wie nötig
und so gezielt wie möglich. WANC 11.11.10, Quelle: pte, Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Bundesministerium für Bildung und
Forschung
 
 
 
 
 
 
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