Pillenfragezeichen
Antibiotika: Bei Erkältung wirklich wirksam (Foto: ABDA)?
> Antibiotika: Unsinniger Einsatz
Was sagt der Volksmund zur Behandlung
von Husten, Schnupfen, Heiserkeit: Heilung mit Medikamenten nach
einer Woche, ohne nach 7 Tagen. Jetzt geben Wissenschaftler den
medizinischen Laien Recht. Allerdings: Verschrieben werden sollen
Antibiotika weiterhin.


Wie liest man so schön auf der
Website www.antibiotikum.de
der Firma Hexal: „Bei einer akuten Bronchitis handelt es sich in
den meisten Fällen um eine durch Viren hervorgerufene
Erkrankung. Dann ist keine Antibiotika-Therapie angezeigt. Häufig
tritt jedoch eine Zweitinfektion auf, die durch Bakterien verursacht
werden kann. Zu den Symptomen einer Bronchitis zählen
Husten, anfangs trocken, dann mit Verschleimung, zäher Auswurf,
anfangs weißlich, später gelb- oder grünlich und
gelegentlich Fieber.“



Und weiter wird als eine Zweitinfektion
die Sinusitis beschrieben: „Die eitrige Entzündung der
Nasennebenhöhlen entsteht, wenn sich durch Abflussbehinderung
Sekret in den Nasennebenhöhlen anstaut, in das pathogene
(krankmachende) Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum einwandern
können. Häufig tritt diese Erkrankung im Anschluss an einen
durch Viren verursachten Schnupfen auf.“



Das ist alles richtig und doch
irgendwie falsch. Denn die im US-Medizinerjournal "JAMA"
veröffentlichten Ergebnisse einer Studie über die Wirkungen
des Einsatzes von Antibiotika und bestimmten Nasensprays bei akuter
Sinusitis im Vergleich mit Placebos belegt, wie wenig Antibiotika
wirklich helfen.



In der Untersuchung wurden unter
Einsatz einer Reihe von defensiven diagnostischen Kriterien (z. B.
ohne Einsatz der lange Zeit vorherrschenden Röntgenuntersuchung
des Oberkiefers) 240 Personen im Alter über 15 Jahren
und aus 58 Hausarztpraxen in Großbritannien mit akuter und
nicht wiederholter Sinusitis entweder mit einem Antibiotikum oder mit
einem nichtwirksamen Scheinmedikament behandelt.



Bei der Gruppe, die wirklich behandelt
wurde, kam der Antibiotika-Klassiker Amoxicillin, in Deutschland als
Mittel der Wahl betrachtet, zum Einsatz und zusätzlich zum
Zwecke der Symptomlinderung ein Nasenspray. In der Kontrollgruppe
waren Antibiotikamittel und Spray jeweils Placebos.



Unter der Antibiotikatherapie litten
nach 10 Tagen noch 29 Prozent der Patienten unter
Beschwerden. Unter Placebo waren es 33,6 Prozent. Auch das
Nasenspray hatte keinen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung: Mit
oder ohne hatten nach 10 Tagen noch 32 Prozent der
Patienten Symptome der Erkrankung. Nur in einer kleinen Gruppe von
Patienten mit vergleichsweise geringen Beschwerden, also einer
eigentlich am wenigsten behandlungsbedürftigen Patientengruppe,
waren die Nasenspray-Steroide dem Placebo überlegen.



Das bedeutet: 40 Prozent der
PatientInnen in allen Gruppen waren nach einer Woche geheilt – ganz
egal, ob sie Medikamente erhielten oder nicht.



Dennoch gehört in der
allgemeinärztlichen Praxis die Behandlung der Sinusitis zu den
häufigsten Einsatzfeldern von antibiotischen Arzneimitteln.
Norwegische Hausärzte nutzen sie in diesem Fall zu 67 Prozent,
holländische zu 80 Prozent und US-Ärzte bis zu
98 Prozent.



JAMA kommt zu dem Schluss, dass bei den
meisten Patienten auf die Verordnung und Einnahme von Antibiotika und
Nasensprays verzichtet werden könne. Hilfreich sei ihre
Verwendung nur bei hartnäckigen Infektionen.



Doch dann schlägt die anerkannte
Medizinzeitschrift einen Purzelbaum: Da diese hartnäckigen
Infektionen aber nicht von vornherein erkennbar seien, könnten
Ärzte trotz dieser wissenschaftlich eindeutigen Erkenntnisse
"für alle Fälle" Antibiotika verordnen und auch
ihre sofortige Einnahme empfehlen. Gesunder Menschenverstand kann da
nur erstaunt mit dem Kopf schütteln.



Aber dann kommt auch noch der zweite
Purzelbaum: Um den Einsatzes von Antibiotika so weit wie möglich
hinauszuzögern und sie erst im wirklichen Bedarfsfall einnehmen
zu lassen, empfehlen die Wissenschaftler die Ausstellung von
Eventualrezepten, die erst dann eingelöst werden sollten, wenn
der Ausfluss und die Schmerzen nach einigen Tagen nicht besser
geworden sind. Da werden sich die Antibiotika-Hersteller aber
freuen.



WANC 06.12.07 Quelle: "Antibiotics
and Topical Nasal Steroid for Treatment of Acute Maxillary Sinusitis
A Randomized Controlled Trial"
(JAMA, December 5, 2007-Vol
298, No. 21: 2487-2496).

 
 
 
 
 
 
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