Foto: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Phonagnosikern fällt es schwer, Stimmen zu erkennen (Foto: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften)
> Phonagnosie: Wenn man Stimmen nicht erkennen kann
Normalerweise erkennen Menschen andere
Menschen schon an der Stimme. Doch manche können Stimmen überhaupt
nicht erkennen: Sie sind von einer kaum untersuchten neurologischen
Besonderheit betroffen, der Phonagnosie. Warum diese Einschränkungen im
Stimmenerkennen auftreten, ist bislang ein Rätsel. Dass es sie gibt,
ist selbst Betroffenen häufig nicht bewusst.
Phonagnosiker hören ganz normal, sind aber nicht in der Lage, andere
Menschen – selbst enge Familienmitglieder und Freunde – an der Stimme
zu erkennen. „Wie viele Menschen davon betroffen sind, ist unklar“,
sagt Katharina von Kriegstein, die am Max-Planck-Institut für
Kognitions- und Neurowissenschaften eine Forschungsgruppe leitet. Bei
dem vergleichbaren Phänomen der angeborenen Prosopagnosie, der
Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, wird jedoch vermutet, dass ein bis
drei Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Störungen in der Stimmwahrnehmung können durch Hirnverletzungen
auftreten, beispielsweise nach einem Schlaganfall. Die MPI-Forscher
interessieren sich aber besonders für die angeborene Form der
Phonagnosie. Deren Existenz wurde erstmalig im Jahr 2008 durch
Bekanntwerden des Falls „KH“ belegt. Die Britin hat  stets
Probleme damit, Stimmen zu erkennen – selbst ihre eigene Tochter muss
am Telefon immer dazusagen, wer sie ist. Dass hinter dieser kleinen Alltagsschwäche ein neurologisches Phänomen
stecken könnte, kam KH erst in den Sinn, als sie in der Zeitung einen
Bericht über Menschen mit angeborener Gesichtsblindheit (Prosopagnosie)
las. Daraufhin meldete sie sich bei Forschern des University College
London (UCL). Deren Bericht in der Fachzeitschrift Neuropsychologia
erregte großes Aufsehen, denn anders als bei allen bis dahin bekannten
Fällen von Phonagnosie erwies sich KHs Gehirn im
Magnetresonanztomografen als anatomisch völlig normal. Sie verfügt
zudem über ein gutes Gehör und kann etwa Emotionen, Umweltgeräusche und
männliche von weiblichen Stimmen problemlos unterscheiden. Nur die
Zuordnung der Stimme zu einer Person gelingt ihr nicht. „Wir könnten durch die Erforschung der Phonagnosie viel darüber lernen,
wie Stimmen im Gehirn verarbeitet werden und eventuell auch welche
Rolle verschiedene Merkmale der Stimme wie Tonhöhe, Klangfarbe und
Rhythmus bei dem Wiedererkennen spielen“, erklärt von Kriegstein.
„Vielleicht werden wir dadurch in Zukunft verstehen, warum das
menschliche Gehirn normalerweise so hervorragend im Erkennen vertrauter
Stimmen ist, während Stimmerkennung per Computer immer noch nicht
fehlerfrei funktioniert.“ Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und
Neurowissenschaften haben jetzt einen Online-Test entwickelt, mit dem
jeder seine Fähigkeiten im Erkennen von Stimmen prüfen kann. Die
Wissenschaftler suchen auf diesem Wege auch Versuchsteilnehmer für
Studien. Die Erforschung der Phonagnosie könnte nicht nur all denen
helfen, die Schwierigkeiten haben, Stimmen zuzuordnen, sondern auch
wichtige Erkenntnisse über die Hirnfunktionen beim Personenerkennen
liefern. Im Internet zu finden unter www.phonagnosie.de.  15.03.2011/ Quelle: Max-Planck-Gesellschaft
 
 
 
 
 
 
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