Statine: Die umstrittene Therapie

Cholesterin - vor allem das „schlechte" LDL-Cholesterin - kann bei erhöhten Werten die Gefahr für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung wie Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöhen. Wenn der Arzt erhöhte Cholesterinwerte diagnostiziert, verschreibt er oft Statine. Das sind Medikamente, die den Cholesterinwert senken sollen. Über den Nutzen und wann sie eingesetzt werden sollen, gibt es aber völlig unterschiedliche Bewertungen.


Wenn man Beiträge zu Cholesterin liest, kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass dieser Stoff furchtbar schädlich ist. Denn er verkleistert die Blutgefäße und führt so zu Herzinfarkt und Schlaganfall. Doch man darf nicht vergessen, dass Cholesterin auch seinen Nutzen hat. gesundheitsinformationen.de schreibt: „Cholesterin ist ein notwendiger Baustoff in allen Geweben des Körpers, der an vielen Stellen des Stoffwechsels benötigt wird. Dazu wird es im Blut in kleinen „Paketen" zwischen den Organen transportiert. Es werden vor allem zwei Arten von Cholesterin unterschieden: LDL-Cholesterin erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, HDL-Cholesterin dagegen nicht. Wenn der Anteil des LDL-Cholesterins im Blut einen bestimmten Wert überschreitet oder insgesamt viel Cholesterin im Blut ist, spricht man von „Hypercholesterinämie".


Unser Gehirn benötigt Cholesterin
Cholesterin ist also grundsätzlich nicht böse, sondern notwendig. Vor allem unser Gehirn benötigt LDL-Cholesterin, um gesund zu bleiben und gut zu funktionieren. Das Gehirn enthält laut Medizinern etwa 25–30 Prozent des Cholesterins im gesamten Körpers. Es gibt Untersuchungen, die den Schluß nahe legen, dass ein hoher Cholesterinspiegel vor Demenz und Alzheimer schützen könnte. Ältere Menschen könnten bei einem niedrigen LDL-Spiegel möglicherweise sogar ein erhöhtes Sterberisiko tragen.


Ein US-amerikanisches Gremium medizinischer Experten (United States Preventive Services Task Force - USPSTF) hat jetzt in dem Ärzteblatt JAMA neue Empfehlungen für den Einsatz von Statinen vorgelegt. Und die sind viel vorsichtiger als bisheriger Empfehlungen. So soll sich die Verordnung von Statinen nicht mehr an den reinen Cholesterinwerten orientieren, sondern am 10-Jahres-Risiko für ein atherosklerotisches Ereignis. Statine werden für Erwachsene - im Alter von 45 bis 75 - empfohlen, wenn das 10-Jahresrisiko 10% und höher und der Risikofaktor bei 1 liegt.


Einsatz von Statinen am 10-Jahresrisiko ausrichten
In anderen Fällen, auch bei einem 10-Jahresrisiko von 7,5 % bis 10 % und dem Risikofaktor 1, stufen die Experten den möglichen Nutzen als gering ein. Selbst für über 75-Jährige erkennt das USPSTF keinen Beleg für einen Vorteil durch den Einsatz von Statinen. Das Gremium lässt in seiner Bewertung aber keinen Zweifel daran, dass es Statine als sichere und in der Regel gut verträgliche Medikamente einordnet, die das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und auch das Gesamtsterberisiko senken.


Diese Empfehlungen liegen nicht ganz auf der Linie vieler medizinischer Fachgesellschaften - auch in Europa und Deutschland. Bei uns wird eher darum gekämpft, die Therapiegrenzwerte nach unten zu rücken, um mehr Patienten in den Genuss einer Statinbehandlung zu bringen. Denn fast alle Fachgesellschaften vertreten die Auffassung, dass Statine noch viel zu selten eingesetzt werden und dass eine Statintherapie sicher und nebenwirkungsarm das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senkt.


Diskussion über die Nebenwirkungen
Über die Nebenwirkungen von Statinen gibt es vielfältige, unterschiedliche Ansichten. Die Herzstiftung beispielsweise kategorisiert die Medikamente als sicher ein. Macht aber darauf aufmerksam, dass Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten wie den Calciumantagonisten Verapamil, Diltiazem, Amlodipin, dem Rhythmusmedikament Amiodaron, den Antibiotika Erythromycin und Clarithromycin und bestimmten HIV-Medikamenten (HIV-Protease-Inhibitoren) besteht, die vor allem das Risiko für Muskelbeschwerden erhöhen. Das Risiko für einen Muskelverfall (Rhabdomyolyse) liegt bei ein bis drei Fälle auf 100000 Patienten, die ein Jahr lang Statine einnehmen. Weitere aber eher seltenen Nebenwirkungen von Statinen sind Magen-Darm-Beschwerden, erhöhte Leberwerte sowie erhöhte Blutzuckerwerte. Das Risiko unter Statinen einen Diabetes mellitus zu entwickeln, ist laut Herzstiftung minimal erhöht. In der Regel überwiege der Nutzen der Einnahme sehr deutlich.


Missverständnisse und Irrtümer?
Die Ablehnung von Statinen rückt die Herzstiftung in die Nähe der Irrtümer: „Zugleich kursieren unter Patienten und in der Öffentlichkeit Missverständnisse und Irrtümer. Sie führen zum falschen Umgang mit Statinen." Wie bei vielen Sachverhalten, scheiden sich an diesen Auffassungen die Geister. Statinkritiker wenden ein, dass in vielen Studien die Nebenwirkungen vernachlässigt und verharmlost werden. Dagegen würden die Wirkungen, wie Verhinderung von Schlaganfällen und Herzinfarkten, übertrieben würden.


Was kann man daraus möglicherweise für sich nutzen? Es gibt unterschiedliche Statine, z.B. Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pitavastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin, die unterschiedlich stark wirken und im Einzelfall eingesetzt werden müssen. Die Herzstiftung nennt auch Alternativen zu Statinen: „Eine effektive Senkung des LDL-Cholesterins lässt sich durch Ezetimib und PCSK9-Hemmer (Evolocumab, Alirocumab, Inclisiran) erreichen. Diese Wirkstoffe können ohne Weiteres mit Statinen kombiniert werden, beispielsweise, wenn mit Statinen allein keine ausreichende Cholesterinsenkung erreicht wird. Allein oder kombiniert mit Ezetimib und/ oder Statinen kann auch der Wirkstoff Bempedoinsäure eingesetzt werden, eine Substanz mit statinähnlichem Wirkprinzip. Die Studien-Ergebnisse für Fibrate sind nicht eindeutig, es konnte keine Verminderung von Herzinfarkten durch Fibrate zusätzlich zu Statinen gezeigt werden. In seltenen Einzelfällen ist die Kombination von Statinen mit den Fibraten Bezafibrat und Fenofibrat unter ärztlicher Abwägung möglich, weil das Risiko von muskelbedingten Nebenwirkungen damit nur gering erhöht ist. Der Wirkstoff Gemfibrozil sollte hingegen aufgrund von zahlreichen Medikamenten-Interaktionen gar nicht eingesetzt werden."


Meist lassen sich hohe Cholesterinwerte auch durch ein Veränderung des Lebensstils erreichen: mehr Bewegung, gute Ernährung, Abbau von Übergewicht und Adipositas. Das mit einer gesunden Ernährung hat allerdings seinen Pferdefuss. Zwar meinen Mediziner, dass eine gesunde Ernährung ein erster Schritt zu Herzgesundheit ist. Aber: „Doch gerade die Ernährung hat – in Abhängigkeit vom Ausgangszustand – oft nur geringen Einfluss auf die LDL-Cholesterin-Werte."


Was sind erhöhte Cholesterinwerte (Hypercholesterinämie)?
Laut der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) gelten als Grenzwerte, ab denen es für gesunde Menschen riskant wird:
- Gesamtcholesterin:über 200 mg/dl (5,2 mmol/l)
- LDL-Cholesterin: über 116 mg/dl (3 mmol/l)
Die Herzstiftung geht mehr ins Detail:
- Bei gesunden Menschen mit mäßig erhöhtem Risiko, beispielsweise durch Übergewicht oder leicht erhöhtem Blutdruck, sollte der LDL-Cholesterinwert unter 100 mg/dl (<2,6 mmol/l) liegen.
- Für Patienten mit hohem Risiko, z.B. Menschen mit ausgeprägtem Bluthochdruck, genetisch bedingten hohen Cholesterinwerten oder Raucher, sollte ein LDL-Cholesterinwert von unter 70 mg/dl (<1,8 mmol/l) angestrebt werden.
- Bei Patienten mit sehr hohem Risiko liegt der LDL-Cholesterin-Zielwert unter 55 mg/dl (1,4 mmol/l). Das betrifft die meisten Patienten mit Herzerkrankungen und solche mit Diabetes. Für Patienten mit sehr hohem Risiko, die innerhalb von 2 Jahren unter einer Statintherapie ein zweites Herz-Kreislauf-Ereignis erleiden, sollte ein LDL-Zielwert unter 40 mg/dl (unter 1,0 mmol/l in Erwägung gezogen werden.


Quelle: JAMA


25.8.2022





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/herz_kreislauf/statine-cholesterin-25-8-2022.php
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