> Den Tumor aushungern: Wie funktioniert die Angiogenesehemmung?

Die Diagnose Darmkrebs wird leider oft erst im fortgeschrittenen Stadium gestellt, wenn die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Bei der Angiogenesehemmung verbessern sogenannte VEGF-Antikörper die Therapiechancen von Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs. Derartige Antikörper hemmen die Bildung neuer Blutgefäße im und zum Tumor. Auf diesem Weg verhindern sie, dass die Krebszellen ausreichend Sauerstoff und Nährstoffe erhalten. Folge: Der Tumor wird regelrecht ausgehungert.

In den vergangenen Jahren konnte die Wissenschaft bei der Behandlung des fortgeschrittenen Darmkrebses deutliche Fortschritte erzielen. So ist die Therapie zum einen durch neue und effektivere Chemotherapeutika verbessert worden. Zum anderen wurden mit Wachstumsrezeptorblockern und die Angiogenesehemmern Wirkstoffe zur Therapie von Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs zugelassen, die den Tumor auf völlig neue Weise bekämpfen.

VEGF: Botenstoff für Blutgefäßwachstum
Dabei haben sich die Wissenschaftler die Tatsache zunutze gemacht, dass der Tumor über Blutgefäße mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden muss, um wachsen zu können. Die Tumorzellen stellen die Zufuhr von Sauerstoff und Nährstoffen sicher, indem sie einen Botenstoff produzieren, den sogenannten Blutgefäßwachstumsfaktor VEGF (engl.: vascular, endothelial growth factor), der den Organismus veranlasst, neue Blutgefäße zur Versorgung des Tumors zu bilden.

Angiogenesehemmung: VEGF-Signale blockieren - den Nachschub unterbinden
Blutgefäße tragen auf ihrer Innenseite Rezeptoren, an die der Blutgefäßwachstumsfaktor VEGF binden kann. Diese Eigenschaft ist zum Beispiel bei der Wundheilung von großer Bedeutung. In Hinblick auf das Tumorwachstum ist sie hingegen fatal. Denn die Krebszellen nutzen sie, um „ihr“ VEGF in die Blutgefäße in der Umgebung des Tumors einzuschleusen.

Dort signalisiert der Wachstumsfaktor, dass ein neues Blutgefäß in Richtung Tumor aussprossen soll. Die neuen Blutgefäße wachsen zum Tumor hin und binden ihn an das Versorgungssystem des Blutkreislaufes an. Mediziner bezeichnen diesen Prozess als Tumor-Angiogenese (griech. für Neubildung von Blutgefäßen). Die Krebszellen versorgen sich über diesen Weg direkt mit den im Blut zirkulierenden Nährstoffen und Sauerstoff, so dass der Tumor ungestört weiter wachsen kann. Zudem gelangen durch die Anbindung an das Gefäßsystem auch vom Tumor losgelöste Krebszellen in die Blutbahn.

Diese Zellen wandern durch den Körper und können sich an anderer Stelle wieder niederlassen, wo sie neue Tumoren, sogenannte Metastasen bilden. Von diesen Metastasen geht die eigentliche Gefahr der Krebserkrankung aus. Solange der Krebs auf eine Stelle beschränkt ist, kann er bei einer Operation meist vollständig entfernt werden. Haben sich die Krebszellen aber erst im Körper verteilt, sind sie kaum noch angreifbar. In diesem fortgeschrittenen Krankheitsstadium ist eine Heilung deshalb sehr schwierig.

VEGF-Antikörper lassen den Tumor schrumpfen
Ein VEGF-Antikörper greift gezielt in den Prozess der Tumor-Angiogenese ein. Er erkennt den Blutgefäßwachstumsfaktor VEGF und bindet diesen. VEGF kann nicht mehr an die Rezeptoren in den Blutgefäßen andocken und wird dadurch unwirksam. Die Konsequenz: Der von den Krebszellen zu ihrem weiteren Wachstum dringend benötigte Prozess der Neubildung von Blutgefäßen wird gehemmt - Mediziner nennen das Angiogenesehemmung. Der Tumor selbst wird so vom Nachschub an Nährstoffen und Sauerstoff abgeschnitten und regelrecht ausgehungert.

Deutlich längere Überlebenszeiten mit Anti-Angiogenese-Therapie
Dass dieses theoretische Konzept aufgeht, belegen umfangreiche Studien aus Klinik und Praxis: So konnte gezeigt werden, dass das erneute Fortschreiten der Erkrankung bei Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs gehemmt wird, wenn diese zusätzlich zu einer Standard-Chemotherapie auch einen VEGF-Antikörper erhalten. Patienten, die mit dem VEGF-Antikörper behandelt wurden, lebten außerdem deutlich länger als Patienten, die nicht mit der zielgerichteten Therapie behandelt wurden. Das längere Überleben führen Krebsexperten direkt auf die Hemmung der Tumor-Angiogenese zurück.

Verschiedenen Wirkstoffe zur Anti-Angiogenese
Mittlerweile gibt es einige Wirkstoffe, die auf dem Prinzip der Blockade der Wachstumsimpulse der Krebszelle oder auf der Hemmung der Nahrungszufuhr des Tumors basieren. Nicht alle sind für die Behandlung von Darmkrebs zugelassen. Beispiele sind:
Bevacizumab (Handelsname: Avastin®)
Cetuximab (Handelsname: Erbitux®)
Panitumumab (Handelsname: Vectibix®)
Weitere Wirkstoffe befinden sich in klinischen Prüfungen oder im Zulassungsstadium. Eine Liste von Wirkstoffen, die eine gültige Zulassung besitzen, veröffentlicht das Paul-Ehrlich-Institut (http://www.pei.de/DE/arzneimittel/immunglobuline/monoclonals/monoclonals-node.html__nnn=true)

Von Nebenwirkungen und Verträglichkeiten
Bei den neuen Wirkstoffen handelt es sich um zielgerichtete Therapien. Das bedeutet, dass gesunde Zellen aufgrund des zielgerichteten Wirkprinzips weitestgehend geschont werden, der Wirkstoff also nur da angreift, wo er auch zupacken soll. Dennoch können auch diese neuen Wirkstoffe Nebenwirkungen haben. Diese sind laut Krebsinformationsdienst aber von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Am häufigsten wurden Bluthochdruck sowie Veränderungen und Entzündungen von Haut und Nägeln als auch nachlassendes Wachstums oder Ausfall von Haaren beobachtet.

Bei einigen Patienten versagt die Therapie der Angiogenesehemmung ganz. Bei dieser kleinen Gruppe gibt es anscheinend eine Unempfindlichkeit der Krebszellen gegen Antikörper.

Quellen:
- Hurwitz H et al: Bevacizumab plus irinotecan, fluorouracil, and leucovorin for metastatic colorectal cancer. New England Journal of Medicine 2004; 350: 2335-2342
- Deutsche Krebsgesellschaft
- Journal Onkologie
- Universitätsklinikum Duisburg-Essen
- Paul-Ehrlich-Institut


 
 
 
 
 
 
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