Defekte Gelenke: Behandlung mit körpereigenen Zellen
> Schonendere Reparatur für kaputte Gelenke

Berliner Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich im Labor dreidimensionale Knorpeltransplantate züchten lassen. Der Vorteil: Kürzere OP-Zeiten und schnellere Genesung.

Sie ist eine geniale Konstruktion der Natur, doch vielen Menschen macht sie irgendwann im Leben massive Probleme: jene Knorpelschicht an den Enden unserer Knochen, die normalerweise eine reibungslose Bewegung von Knie-, Fuß- und Hüftgelenken ermöglicht. Schon ein einziger Sturz vom Mountainbike, ein heftiger Schlag vors Knie beim Eishockey- oder Fußballspiel können fatale Folgen haben. Denn oft wird dabei ein Teil des Knorpels so geschädigt, dass schon nach wenigen Jahren eine Arthrose entsteht - ein irreversibler Gelenkschaden, der heftige Schmerzen verursacht und manche Bewegungen zur Qual werden lässt.


Ein Forscherteam um Gerd-Rüdiger Burmester und Michael Sittinger vom Berliner Universitätsklinikum Charité hat jedoch ein Verfahren zur Züchtung von patienteneigenem Knorpelersatz entwickelt, mit dem sich selbst tiefe und große Knorpeldefekte erfolgreich und zudem schonender reparieren lassen als bisher. Das zeigen erste klinische Erfahrungen mit der Methode, über die Burmester auf dem 32. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Frankfurt am Main referierte.


Vor knapp zehn Jahren wurde erstmals über eine Methode berichtetet, mit der sich Knorpeldefekte in Gelenken mit körpereigenen Zellen des Patienten behandeln lassen. Bei dieser bisherigen Form der 'autologen Chondrozyten-Transplantation' (ACT) werden dem Patienten zunächst einige Reiskorn große Knorpelstückchen aus einem unbelasteten Randbereich des Gelenkes entnommen und im Labor vermehrt. Vier bis sechs Wochen später werden die im Reagenzglas gezüchteten Knorpelzellen in einer zweiten Operation in den Defekt gespritzt.


Damit die Zellen dort auch bleiben, muss der Chirurg zuvor an einem anderen Knochenabschnitt einen kleinen Knochenhautlappen (Periostlappen) entnehmen, und diesen über den Defekt nähen. Inzwischen wurde das Verfahren bereits bei mehr als 5000 Patienten angewandt. Wie Studien gezeigt haben, führt der Eingriff bei rund 80 Prozent der Behandelten zur dauerhaften Verbesserung des klinischen Zustands und ermöglicht es den meisten von ihnen, wieder aktiv zu sein und Sport zu treiben.


Doch das Verfahren hat mehrere Haken. Um den Knochenhautlappen annähen zu können, muss bei der Operation nicht nur das Gelenk selbst freigelegt werden, sondern noch ein weiterer Knochenabschnitt, aus dem der Periostlappen entnommen wird. Zudem wird beim Festnähen des Periostlappen immer auch ein Teil des noch gesunden, umliegenden Knorpels beschädigt.


Mit der Methode, die Sittingers Team gemeinsam mit Medizinern der Uniklinik Freiburg und der Firma BioTissue Technologies AG entwickelt hat, fallen diese Nachteile weitgehend weg. Auch hierbei entnimmt der Arzt dem Patienten zwar zunächst Knorpelzellen, die daraufhin in einer Kulturschale drei Wochen vermehrt werden. Sie werden dann jedoch wenige Tage vor der Operation noch im Labor mit Hilfe eines Fibrin-Klebers in ein 2 Millimeter dickes, vom Körper resorbierbares Spezial-Vlies eingebettet, das den Zellen ein dreidimensionales Gerüst bietet. Dank des Trägermaterials, das bereits seit Jahrzehnten in Form von Operationsfäden eingesetzt wird, lassen sich die Zellen viel einfacher als bisher und meist ohne offene Gelenkoperation in das Gelenk des Patienten implantieren. Der Arzt kann die standardmäßig 2 x 3 Zentimeter großen Transplantate exakt auf die Größe des Knorpeldefektes zuschneiden. Je nach Defekt, können die Vliese per Schlüsselloch-Chirurgie (Arthroskopie) in das Gelenk eingebracht werden, wo sie mit vier resorbierbaren Fäden im Knochen verankert werden.


Durch die neue Technik verringert sich die OP-Dauer von zwei Stunden auf 40 Minuten und es muss weniger genäht werden. Bei einem arthroskopischen Eingriff sind zudem die Nebenwirkungen, wie Schmerzen, auffallende Narben oder verminderte Bewegungsfähigkeit deutlich reduziert. Der Patient erholt sich schneller von dem Eingriff und auch die Muskeln um das Gelenk herum, sind seltener geschädigt. Schon wenige Tage nach der OP kann das operierte Gelenk wieder passiv bewegt und bald darauf sogar belastet werden. Anders als die losen Knorpelzellen, die beim bisherigen Verfahren in das Gelenk eingespritzt werden, sind die neuen Transplantate mechanisch erstaunlich stabil. Für den Halt sorgt in den ersten Wochen nach der OP das Vlies-Material. Sechs bis zwölf Monate nach dem Eingriff sind die Zellen ausgereift und haben einen stabilen Zellverband gebildet - ähnlich wie natürlich gewachsener Gelenkknorpel. Bis dahin hat der Körper das Vlies-Polymer komplett abgebaut. Nach einem Jahr sind die Gelenke voll belastbar.


Inzwischen hat das Team um den Mediziner Christoph Erggelet vom Uniklinikum Freiburg das Verfahren an mehr als 70 Patienten erprobt. Die meisten wurden wegen Knorpeldefekten im Kniegelenken behandelt, zwei Patienten wurden am Sprunggelenk operiert. Rund zwei Drittel hatten zum Zeitpunkt des Eingriffs bereits eine beginnende Arthrose. Bei rund der Hälfte der Patienten liegt die Operation mittlerweile bereits mehr als ein Jahr zurück, so dass die Mediziner nun ein erstes Resümee ziehen können: "Bisher kam es bei keinem der Patienten zu Problemen wie Entzündungen, einer Ablösung des Implantats oder Unebenheiten, durch die das Gelenk nicht mehr glatt laufen würde", so Burmester. Sowohl die Gelenkfunktion als auch die Schmerzen und die gesamte Lebensqualität hat sich bei fast allen Operierten deutlich gebessert. Nur zwei der Patienten stuften sich schlechter ein als vor dem Eingriff.


Mit dem 3D-Vlies können nun auch Defekte bis zu einer Größe von 12 Quadratzentimetern gedeckt werden sowie Schäden, für die bislang gar kein Knorpelersatz möglich war, wie etwa Kniegelenkdefekte auf der Seite des Schienbeins. Die Mediziner hoffen nun, dass sich durch die frühe Operation bei vielen Patienten mit beginnender Arthrose die Implantation eines künstlichen Kniegelenks künftig um bis zu zehn Jahre verzögern lässt.


Möglicherweise, so hoffen die Forscher, bieten sich mit dem Tissue engineering sogar Chancen für die Behandlung entzündlicher Gelenkerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis. Derzeit testen die Forscher Verfahren, mit denen sie die Transplantate so behandeln, dass die gezüchteten Knorpelzellen kontinuierlich anti-entzündliche Substanzen abgeben und so dem zerstörerischen Krankheitsverlauf entgegen wirken. Bereits jetzt liegen viel versprechende Ergebnisse aus Tierversuchen vor, denen in Kürze erste Therapieversuche an Menschen folgen sollen.


WANC 09.03

 
 
 
 
 
 
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