Krafttraining für Kinder: Mehr Nutzen als Schaden?

Ein Krafttraining für Kinder lehnen in
Deutschland viele Trainer, Sportlehrer und Eltern strikt ab. Doch sie
stützen sich dabei auf veraltete Lehrmeinungen, behaupten die
Sportwissenschaftler Dr. Michael Fröhlich (Universität des Saarlandes),
Jürgen Gießing (Universität Koblenz-Landau) und Andreas Strack
(Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement,
Saarbrücken). Neue wissenschaftliche Studien empfehlen ein
Krafttraining von Kindesbeinen an. Denn das soll Bindegewebe, Sehnen,
Knochen stärken, Muskelmasse trete anstelle von Fettgewebe.
Noch immer wird in Lehr- und Trainingsplänen argumentiert, ein
Krafttraining vor der Pubertät schädige die noch weichen Knorpel und
Knochen der Kinder, insbesondere deren Wachstumsfugen. Zudem ist die
Auffassung verbreitet, der niedrige Anteil an Androgenen
(Geschlechtshormonen) im Körper der Mädchen und Jungen sei zu gering,
um die Muskeln wachsen zu lassen. 

 Neue Forschungsergebnisse wollen jedoch belegen, dass ein Krafttraining
für Kinder mit dem eigenen Körpergewicht, mit Gummibändern, mit freien
Hanteln und auch an Maschinen zu beachtlichen Erfolgen führt. Dabei
stehen keinesfalls ein Höchstmaß an Muskelmasse und das Stemmen
möglichst hoher Lasten im Vordergrund, wie das beim Bodybuilding,
Kraftdreikampf oder Gewichtheben erwünscht ist. "Vielmehr soll ein
Krafttraining für Kinder die allgemeine Fitness und das psychische
Wohlbefinden steigern, zu besseren Leistungen im Sport führen und
Verletzungen vorbeugen", erläutert Fröhlich.

 Ein Krafttraining bringe Kindern vor der Pubertät zunächst keinen
sichtbaren Zuwachs an Muskelmasse. Dennoch werde ihre Muskulatur
deutlich leistungsfähiger. Ohne Training liege ein Teil regelrecht
brach, sei sozusagen verkümmert. Durch regelmäßiges Üben würden alle
Teile des Muskels aktiviert. Das Training verbessere zuerst die
Koordination innerhalb des Muskels sowie das Zusammenspiel von Muskeln
und Nerven. Die Sportwissenschaftler sprechen von intra- und intermuskulären
Anpassungseffekten, die ohne Zunahme des Muskelumfangs zu einem
Kraftzuwachs führen. Eine so trainierte Muskulatur ist bereits schnell
und stark genug, einen umknickenden Fuß blitzschnell zu stabilisieren,
so dass eine Verletzung verhindert wird.

 Die aktuellen Studien berichten von Kraftzuwächsen von bis zu 40
Prozent bei Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren, die zwei Monate
lang ein Krafttraining absolviert haben. Danach legen auch Kinder an
Muskelmasse zu. Denn nach zwei Monaten Training steigt selbst bei
jungen Sportlern vor der Pubertät die Konzentration des Hormons
Testosteron an, das für das Muskelwachstum wichtig ist. "Auch bei einer
längeren Trainingspause bleibt der Testosteronspiegel bei den Mädchen
und Jungen hoch, so dass ihr Muskelumfang schnell wieder steigt, wenn
sie das Krafttraining wieder aufnehmen", sagt Fröhlich. Denn die beim
Training erreichten Kraft- und Muskelzuwächse verschwinden in einer
Trainingspause wieder.

 Ein fachgerecht durchgeführtes Kinderkrafttraining schädige weder
Knochen noch Knorpel und Gelenke. Im Gegenteil, es führe dazu, dass
zusätzliche Knochensubstanz aufgebaut wird. Gespannte Muskeln üben auf
Knochen, an denen sie über Sehnen verankert sind, starke Zugkräfte aus.
Diese mechanischen Reize fördern das Knochenwachstum. Der Mineralgehalt
der Knochen und die Knochendichte werden erhöht. Dieser zusätzliche
Aufbau ist bei Mädchen im Alter von 11,5 bis 13,5 Jahren und bei Jungen
im Alter von 13 bis 15 Jahren am intensivsten. Somit beuge ein
frühzeitiges Krafttraining auch dem gefürchteten Knochenschwund im
Alter vor, der Osteoporose. 

 Außerdem stärke ein Muskeltraining das Bindegewebe und die Sehnen,
wodurch diese weniger verletzungsanfällig sind. Nicht zuletzt
verbessere ein Krafttraining bei Mädchen und Jungen die
Körperzusammensetzung: Fett schmilzt, der Muskelanteil nimmt zu. "Ein
Muskeltraining mit leichten Gewichten wirkt sich sogar positiv auf das
Herz-Kreislaufsystem aus", sagt Michael Fröhlich. 

 Die Wissenschaftler empfehlen im Kinderbereich ausdrücklich ein
Training mit freien Hanteln und an Maschinen. Das Argument der
Skeptiker, die Belastung durch die Geräte sei zu hoch, sei widerlegt.
"Gerade mit diesen Geräten sind die Übungen individuell sehr gut
dosierbar", betont Strack. Übungen mit Gewichtsmanschetten, Hanteln und
Sandsäcken sowie an Maschinen belasten untrainierte Kinder weniger als
bestimmte Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Schlecht trainierte Mädchen und Jungen können zum Beispiel Liegestütze,
Klimmzüge und Handstände nicht richtig ausführen, weil ihnen die Kraft
und das Körpergefühl dafür fehlen. An Maschinen hingegen lassen sich
vergleichbare Übungen (Bankdrücken, Lat-Ziehen, Nackendrücken) mit
deutlich geringerer Belastung durchführen. 

 Doch selbst Kinder, die Leistungssport betreiben, hätten in der großen
Mehrzahl noch nie mit Hanteln und an Maschinen trainiert. Wenn
überhaupt ein Krafttraining durchgeführt werde - in der Regel mit dem
eigenen Körpergewicht -, erfolge es selten systematisch. Jugendliche im
Leistungssportbereich absolvierten zwar häufiger ein regelmäßiges
Krafttraining. Doch dieses sei sehr oft falsch angelegt, denn bei
wissenschaftlichen Untersuchungen fallen die Athleten durch zu schwache
oder unausgewogen ausgebildete Muskeln auf. 

 Absolvieren Kinder und Jugendliche nur einmal pro Woche ein
Krafttraining, führe das zu keinen nennenswerten Effekten. Dies gelte
auch für Erwachsene. Zwei Einheiten wöchentlich reichten jedoch aus, um
Kraftausdauer und Kraft zu steigern. Ein Training sollte sechs bis acht
Übungen mit jeweils zwei bis drei Sätzen umfassen. Bei Kindern steht
zunächst das Kraftausdauertraining im Vordergrund, weshalb leichtere
Gewichte gewählt werden, so dass pro Satz 15 bis 20 Wiederholungen
möglich sind. Gehe es darum, auch Muskelmasse aufzubauen, sollten die verwendeten
Gewichte acht bis zehn Wiederholungen pro Satz ermöglichen. In jedem
Fall sollten die Bewegungen langsam ausgeführt werden.
Anfänger sollten
zuerst immer die Bauch- und Rückenmuskulatur kräftigen. Dann folgen
Hüft-, Knie- und Schultermuskulatur und zuletzt Arme und Füße. Zwischen
den Trainingseinheiten sollte auf jeden Fall ein Ruhetag liegen.

 Verletzungen treten beim Krafttraining sehr selten auf und sind in der
Regel auf Überlastung und falsche Technik zurückzuführen, meinen die
Wissenschaftler. Die positiven Aspekte seien indes unbestritten. Ein
stabiles Muskelkorsett minimiere das Verletzungsrisiko bei sportlichen
Aktivitäten und steigert die körperliche Leistungsfähigkeit. "Ein
Krafttraining stärkt zudem das Selbstbewusstsein der Kinder, verändert
das Körperbild positiv und kann sogar Angstzustände und Depressionen
reduzieren", unterstreicht Fröhlich. WANC 30.04.09/Quelle: Sportwissenschaftliches Institut der Universität
des Saarlandes, "Kraft und Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen"
- Tectum-Verlag, 19,90 Euro





Quelle:
http://www.medizinauskunft.de/home/artikel/index.php/index.php/30_04_krafttraining.php
powered by webEdition CMS